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Nach dem Lesen dieses Kapitels können Sie:

  • Globale Trends bei Lebenserwartung und Sterblichkeit sowie Ursachen von Krankheit und Tod erläutern.

  • Zusammenhänge von Globaler Gesundheit zu Aufgabenbereichen des ÖGD mit konkreten Beispielen aufzeigen.

  • Zusammenhängen zwischen lokalen Maßnahmen und Globaler Gesundheit erörtern.

Im Jahr 2017 betrug die Lebenserwartung bei Geburt laut Global Burden of Disease (GBD) Studie 2017 (IHME, 2019c) zwischen 51,9 Jahren in der Zentralafrikanischen Republik und 84,8 Jahren in Singapur. Für Deutschland wurde die Lebenserwartung auf 80,6 Jahre geschätzt, was einem Anstieg um 5,1 Jahre seit 1990 entspricht. Im globalen Durchschnitt stieg die Lebenserwartung zwischen 1990 und 2017 um 7,4 Jahre von 65,6 auf 73,0 Jahre. Die Zunahme der Lebensjahre reichte von 5,1 Jahren in Ländern mit hohem soziodemografischen Index (SDI) bis hin zu 12,0 Jahren in Ländern mit niedrigem SDI.

In den meisten der 195 Länder und Gebiete, welche die GBD Studie 2017 untersuchte, war der Anstieg der gesunden Lebenserwartung geringer als der Anstieg der allgemeinen Lebenserwartung. Dies deutet darauf hin, dass durch den Zugewinn an Lebenszeit anteilig auch mehr Jahre in schlechtem Gesundheitszustand gelebt wurden. Von den zwischen 1990 und 2017 hinzugewonnen Lebensjahren wurden in Ländern mit hohem SDI 26,3 % in schlechtem Gesundheitszustand erlebt, verglichen mit 11,7 % in Ländern mit niedrigem SDI. Global betrachtet stieg die gesunde Lebenserwartung zwischen 1990 und 2017 um 6,3 Jahre: von 57,0 auf 63,3 Jahre – im Vergleich zu einem Anstieg der Lebenserwartung um 7,4 Jahre im gleichen Zeitraum.

Die Ursachen der globalen Krankheitslast haben sich weg von Infektionskrankheiten hin zu nicht übertragbaren Krankheiten verschoben. Zwischen 1990 und 2017 sank die altersstandarisierte Rate an weltweit durch Krankheit oder vorzeitigen Tod verlorenen Lebensjahren (disability-adjusted life years, DALYs, pro 100 000 Menschen), welche für eine gleichbleibende Altersstruktur der Bevölkerung berechnet wird, in der Gruppe der übertragbaren, mütterlichen, frühkindlichen und ernährungsbedingten Krankheiten um 49,8 %. Bei nicht übertragbaren Krankheiten hingegen stieg die globale Krankheitslast um 40,1 %, während die altersstandardisierte DALY-Rate im gleichen Zeitraum um 18,1 % fiel. Letzterer Vergleich deutet darauf hin, dass der Anteil der globalen Krankheitslast, der nicht übertragbaren Krankheiten zugeschrieben wird, aufgrund der wachsenden alternden Weltbevölkerung zunimmt und weniger auf die Verbreitung eines „westlichen“ Lebensstils zurückzuführen sein könnte (Murray, 2018).

Die fünf Hauptursachen der DALYs waren im Jahr 2017 Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebserkrankungen, mütterliche und frühkindliche Erkrankungen, Atemwegsinfektionen und Tuberkulose sowie muskuloskelettale Erkrankungen. Auf den Rängen 6 bis 10 folgen psychische Leiden, sonstige nicht übertragbare Krankheiten, chronische Atemwegserkrankungen, neurologische Erkrankungen und unbeabsichtigte Verletzungen und Folgen von Gewalt (siehe Abbildung: Ranking der Level 2 Krankheitsgruppen der Global Burden of Disease Studie 2017).

In der weltweiten Rangliste der Hauptursachen von Krankheitslast am meisten aufgestiegen sind seit 1990 Muskel-Skelett-Erkrankungen, psychische Störungen, Diabetes und Nierenerkrankungen sowie neurologische Erkrankungen. Die Hauptursachen der weltweiten Krankheitslast unterscheiden sich somit zunehmend weniger von den Hauptursachen der Krankheitslast in Deutschland.

Abbildung 1: Ranking der Level 2 Krankheitsgruppen der Global Burden of Disease Studie 2017 nach deren geschätztem Beitrag zur gesamten Krankheitslast (gemessen in DALYs) weltweit bzw. in Deutschland. Quelle: In Anlehnung an GBD 2017 DALYs and HALE Collaborators

Das mit der GBD beauftragte Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME) bietet eine Vielzahl an Visualisierungsmöglichkeiten der seit 1990 erfassten Daten, die aktuell 359 Krankheiten und Unfälle sowie 84 Risikofaktoren umfassen. (Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME) 2017)

Gesundheitsausgaben im globalen Vergleich

Um eine allgemeine Gesundheitsabsicherung (Universal Health Coverage, UHC) zu erreichen, die eine finanzielle Absicherung im Krankheitsfall einschließt, ist es erforderlich, dass grundlegende Gesundheitsleistungen durch Vorauszahlungen bereitgestellt werden, ohne Haushalte übermäßig zu belasten. Globale Kenntnisse der gegenwärtigen und zukünftigen Entwicklung der Gesundheitsfinanzierung sind deswegen wichtig für das Erkennen globaler Versorgungslücken und das weltweite Erreichen einer allgemeinen Gesundheitsabsicherung.

Eine GBD Studie über globale Gesundheitsfinanzierung ergänzt Untersuchungen zur globalen Krankheitslast, indem Daten zur Gesundheitsfinanzierung für 188 Länder von 1995 bis 2015 ausgewertet und Gesundheitsausgaben bis 2040 vorhergesagt wurden (Global Burden of Disease Health Financing Collaborator Network 2018). Die weltweit geringsten Gesundheitsausgaben pro Kopf finden sich gegenwärtig und zukünftig in Subsahara-Afrika. Zugleich ist Subsahara-Afrika die am stärksten pro 100.000 Menschen durch Krankheitslast belastete Region der Welt (vorwiegend vorzeitige Todesfälle). Wie bereits heute wird, nach der derzeitigen Prognose, auch zukünftig der versicherte Teil der Gesundheitsausgaben mit fallendem Wohlstandsniveau sinken. In der GBD-Ländergruppe mit hohem Einkommen werden im Jahr 2040 schätzungsweise 87,1% durch staatliche oder private Ausgaben vorausbezahlt und damit vom Eintreten eines Krankheitsfalls entkoppelt. Im regionalen Vergleich wird der aus nationalen Mitteln vorausbezahlte Anteil der Gesundheitsausgaben in Südasien am geringsten sein (38,8%), gefolgt von Subsahara-Afrika (45,5%).

(In den Abschnitten über Ergebnisse der Global Burden of Disease Studie 2017 wurden Inhalte aus Kohler (2019) übernommen.)

Globale Gesundheit und in der praktischen Arbeit des ÖGD

Viele globale gesundheitliche Herausforderungen finden sich auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene in der Arbeit des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) in Deutschland wieder. Während auf einer übergeordneten globalen Ebene Rahmenbedingungen geschaffen und Ziele gesetzt werden, müssen Maßnahmen auf den nachgeordneten Ebenen umgesetzt werden.

Von den Nachhaltigkeitszielen (SDGs) der Vereinten Nationen strebt beispielsweise das Ziel 3 Gesundheit und Wohlergehen für alle Menschen bis zum Jahr 2030 an. Dafür notwendige gesundheitliche Maßnahmen müssen allerdings national umgesetzt werden. In der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie ist zur Erreichung dieses Ziels die Senkung vorzeitiger Sterblichkeit durch eine Reduzierung der Raucherquote, der dauerhafte Stopp eines Anstiegs der Adipositasrate sowie eine Senkung der Emissionen von Luftschadstoffen vorgesehen. An dieser Stelle ist das Öffentliche Gesundheitswesen (ÖGW) beispielsweise durch die Arbeit der umweltmedizinischen Abteilungen an der Erreichung der globalen Ziele beteiligt (Die Bundesregierung 2018).

In der nachfolgenden Tabelle werden Bezüge zwischen globalen (bzw. planetaren) Gesundheitsthemen und ÖGD Aufgabenfeldern sowie den im ÖGD zuständigen Abteilungen dargestellt:

Tabelle: Globale Herausforderungen und deren Bezug zur Praxis im ÖGD

Globales Gesundheitsthema ÖGD Aufgabenfelder Abteilungen im ÖGD
Umweltgesundheit und Klimawandel Umweltbezogener Gesundheitsschutz, Beobachtung und Bewertung von Umwelteinflüssen, Beratung, Hitzeaktionspläne, Förderung von Umweltgerechtigkeit Umweltmedizin, Hygiene, Infektiologie, politische Gremien
Global Burden of Disease (GBD) Messung Gesundheitsberichterstattung Gesundheitsberichterstattung
Universal Health Coverage (UHC) Sozialkompensatorische Gesundheitsversorgung Amtsärztlicher Dienst, Kinder- und Jugendgesundheitsdienst, Sozialpsychiatrischer Dienst, Infektiologie
Health in All Policies (HiAP) Gesundheit in allen Politikfeldern der Kommune/des Landes Leitungsebene (Amtsleitung), politische Gremien, Politikberatung
Internationale Gesundheitsvorschriften International Health Regulations (IHR) Gesundheitsschutz, Infektionsschutz Infektiologie, Hygiene, Hafen- und flughafenärztlicher Dienst
Infektionserkrankungen Tuberkulose- /HIV-Management, Maßnahmen gemäß IfSG, Ausbruchsmanagement, Impfungen, STD-Beratung Infektiologie, Hygiene, Amtsärztlicher Dienst
Antibiotikaresistenzen Netzwerke zu Multiresistenten Erregern (MRE), Hygiene in medizinischen Einrichtungen, Surveillance von Antibiotikaverbrauch und MRE Hygiene, Infektionsschutz
Lebensmittelsicherheit Lebensmittelkontrolle, Hygiene in Lebensmittelbetrieben Lebensmittel-/Veterinärbehörde
Gesundheitskompetenz Health Literacy Informationsveranstaltungen, Öffentlichkeitsarbeit, Aufklärungskampagnen, Gesundheitsberatung GBE, Amtsärztlicher Dienst, Gesundheitsförderung, Sprechstunden, Projekte
Luftverschmutzung Umweltbezogener Gesundheitsschutz, Beobachtung, Bewertung und Beratung, Förderung von Umweltgerechtigkeit Umweltmedizin, Netzwerke
Gesunde Städte (Healthy Cities Network) Stellungnahme bei Baumaßnahmen und stadtplanerischen Projekten, Förderung von Umweltgerechtigkeit Umweltmedizin, Hygiene, politische Gremien, Gesunde-Städte-Netzwerk
Nicht übertragbare Erkrankungen Non-communicable Diseases (NCD) Gesundheitsförderung, Prävention, Hilfen für Suchterkrankte und psychisch Erkrankte Kinder- und Jugendgesundheitsdienst, Amtsärztlicher Dienst, sozialpsychiatrischer Dienst, Netzwerke, Hilfeplankonferenzen
Gesundheit im Alter Gesundheitsförderung von alten Menschen, Unterstützungsangebote, Aufklärungskampagnen, Pflegeberatung Amtsärztlicher Dienst, Sozialpsychiatrischer Dienst, Beratungsstellen für Menschen mit besonderen Bedürfnissen (Behinderungen), Senioren etc.
Ernährung Public Health Nutrition Gesunde Ernährung in Gemeinschaftseinrichtungen (z.B. Kitas, Schulen) Kinder- und Jugendgesundheitsdienst, Netzwerkarbeit
Mentale Gesundheit Anbindung zur Versorgung und Prävention von psychischen Erkrankungen, aufsuchende Beratung und Hilfen, Maßnahmen gemäß PsychK(H)G Sozialpsychiatrischer Dienst, Beratungsstellen, Gesundheitsförderung
Tourismus Reisemedizinische Beratung Ärztliche (reisemedizinische) Sprechstunden, Amtsärztlicher Dienst
Migration und medizinische Versorgung von Menschen mit Fluchterfahrung Humanitäre Sprechstunden, gesundheitliche Versorgung von Menschen ohne aufenthaltsrechtliche Papiere Amtsärztlicher Dienst, Kinder- und Jugendgesundheitsdienst
Menschenhandel, Zwangsprostitution Aufsuchende Hilfen und Beratung für Sexarbeiter/innen, Maßnahmen und Beratung gemäß ProstSchG Amtsärztlicher Dienst, Sprechstunden
Forschung, Politikberatung, evidenzbasierte Praxis Forschung, Politikberatung, evidenzbasierte Praxis Kooperationen, Projekte, Leitungsebene (Amtsleitung), Lehre

Im Folgenden werden zentrale Themenfelder globaler Gesundheit beschrieben und anhand von exemplarischen Handlungsfeldern dargestellt, wie Themenfelder Globaler Gesundheit in der praktischen Arbeit des ÖGD auf nationaler und lokaler Ebene umgesetzt werden, worin Schnittstellen, best-practices und Herausforderungen bestehen. Dabei werden die globalen theoretischen Hintergründe zum Teil durch konkrete Fallstudien illustriert und durch Anwendungsbeispiel auf lokaler und kommunaler Ebene des ÖGD in Deutschland konkretisiert.

Ernährung (Public Health Nutrition)

Ernährung hat einen großen Einfluss auf die individuelle Gesundheit und die Gesundheit der Bevölkerung. Damit Kinder gesund aufwachsen, brauchen sie unter anderem eine ausgewogene und gesunde Ernährung. Umgekehrt können ungesunde Ernährungsmuster in der Kindheit die Entwicklung eines Menschen nachhaltig negativ beeinflussen. Auf globaler Ebene machen nicht übertragbare Krankheiten (noncommunicable diseases, NCDs) mittlerweile den überwiegenden Teil der globalen Krankheitslast aus (Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME) 2017). Dazu zählen beispielsweise Adipositas und chronische Erkrankungen wie Diabetes mellitus Typ 2. Dies führt gerade in Ländern mit niedrigem- und mittlerem Einkommen (low- and middle income countries, LMICs) zu einer sogenannten doppelten Krankheitslast, d.h. der gleichzeitigen Anwesenheit von Infektionskrankheiten wie Diarrhoe, HIV, Tuberkulose und nicht übertragbaren, chronischen Krankheiten wie Adipositas, Krebserkrankungen oder Störungen der mentalen Gesundheit.

Zudem gibt es die sogenannte dreifache Belastung durch Ernährung (triple burden of malnutrition) in vielen Ländern, d.h. das gleichzeitige Vorkommen von Überernährung (obesity), Unterernährung (undernutrition) und Mikronährstoffmangel (micronutrient deficiencies), welche jeweils und auch in ihrer Kombination zur Krankheitslast auf individueller und Bevölkerungsebene beitragen (UNICEF 2016).

Wie sich Menschen ernähren, hängt von einer komplexen Vielzahl an Einflussfaktoren ab. Neben individuellen Verhaltensweisen spielen unter anderem auch Verhältnisfaktoren, z.B. Werbung, Preisgestaltung, Verfügbarkeit und Angebot eine wichtige Rolle. Letztere haben stets auch eine politische Dimension und sind beeinflusst von den sogenannten kommerziellen Determinanten von Gesundheit. So sind beispielsweise auch in ländlichen Regionen von Niedriglohnländern, in denen es zum Teil keinen Zugang zu Gesundheitsversorgung oder weiterführender Bildung gibt, kommerzielle Süßgetränke weithin verfügbar. Ein anderes Extrembeispiel aus Amerika sind sogenannte “food deserts”, das heißt Gegenden, in denen die nächste Möglichkeit, frische Lebensmittel wie Obst und Gemüse zu erwerben, meilenweit entfernt liegt und sich die Nahrungsmittel in nächster Umgebung auf hochverarbeitete “fast food“-Speisen mit einem hohen Fett-, Salz- und Kohlenhydratanteil beschränkt (Tulane University 2018).

In Deutschland sind laut GBD-Studie ernährungsbedingte Risiken die wichtigsten Risikofaktoren, auf die 13,8 % der Gesamt-DALYs zurückgeführt werden, gefolgt von Bluthochdruck und hohem Body-Mass-Index mit je 10,9 %. (Plass et al. 2014).

Dabei weisen Menschen mit niedrigem sozioökonomischem Status durchschnittlich einen geringeren Konsum von Produkten wie Obst und Gemüse und damit eine geringere Vitaminzufuhr auf, dafür jedoch einen überdurchschnittlichen Konsum von fettreichen und stark verarbeiteten Nahrungsmitteln (Dubois et al. 2008). Diese Ernährungsmuster führen zu einem größeren Anteil an Adipositas und Diabetes mellitus Typ 2 bei Menschen in niedrigeren sozioökonomischen Schichten, was große und langfristige Auswirkungen auf die individuelle Gesundheit, das soziale Umfeld und die Belastung des Gesundheitssystems hat (Maier et al., n.d.).

Die Ursachen solcher Unterschiede im Ernährungsverhalten sind vielschichtig und reichen von individuellen Faktoren wie mangelnden finanziellen Ressourcen, Ernährungswissen und Ernährungsbewusstsein bis hin zu Umgebungsfaktoren wie Werbung, Lebensmittelpreisen, Lebensmittelverfügbarkeit und Ernährungsangeboten in Gemeinschaftseinrichtungen.

Dem ÖGW im Allgemeinen und dem ÖGD im Speziellen kommt insbesondere auf Ebene der Verhältnisprävention im Bereich gesunder Ernährungsförderung eine zentrale Rolle zu. Konkrete Handlungsfelder des ÖGD betreffen hier die Förderung von gesunden Lebenswelten im Bereich Ernährung, d.h. der Einsatz für gesunde Ernährung in Gemeinschaftseinrichtungen wie Kitas, Kindergärten, Schulen und Einrichtungen des Öffentlichen Dienstes. Diese können ergänzt werden durch Maßnahmen zur Verhaltensprävention, z.B. durch Aufklärungskampagnen (z.B. auch von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung) und Informationsveranstaltungen zur individuellen, gesunden Ernährung und Angebote, die Kinder und Erwachsene mit den Ursprüngen von Nahrungsmitteln, deren Verarbeitungsweise und Zubereitung auf spielerische und praktische Weise vertraut machen (z.B. Kochkurse; Besuch von Projekten solidarischer Landwirtschaft).

Antibiotikaresistenzen

Antimikrobielle Resistenzen (antimicrobial resistance, AMR) stellen eine wachsende globale Herausforderung dar und bedrohen die effektive Prävention und Behandlung einer zunehmenden Zahl von Infektionserkrankungen. Viele Infektionen, für die wirksame Behandlungen existieren, werden aufgrund von Resistenzen und des damit verbundenen Verlustes von Medikamentenwirksamkeit zunehmend erneut zu einer Gefahr für die menschliche Gesundheit. Zudem ist die Behandlung resistenter Infektionen oft langwierig und mit höheren Kosten verbunden (World Health Organisation 2020a). Resistenzen können dabei auf natürlichem Wege entstehen, diese Prozesse werden allerdings durch den übermäßigen Gebrauch von Medikamenten wie Antibiotika in Menschen und Tieren beschleunigt. Hat sich ein Resistenzfaktor einmal herausgebildet, kann er zwischen Bakterien weitergegeben werden und sich global ausbreiten. Daher ist ein koordiniertes, globales Vorgehen gegen AMR von besonderer Bedeutung. (ReAct 2019)

In Deutschland spielt das Öffentliche Gesundheitswesen für die Maßnahmen der Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie DART 2020 eine zentrale Rolle (Bundesministerium für Gesundheit 2015). So enthält die Strategie Aspekte zu One Health (Schnittstelle Mensch-Tier-Umwelt), welche die enge Kooperation von ÖGW, klinischer Medizin, Veterinärmedizin und weiteren Akteuren erfordert, um Resistenzbildung in der Umwelt vorzubeugen.

Zur frühen Erkennung von Resistenzausbreitungen sind Surveillancesysteme zu multiresistenten Erregern (MRE) und Antibiotikaverbrauch notwendig. Über Arzt- und Labormeldepflichten werden Informationen zu nosokomialen Infektionen und multiresistenten Erregern an die Gesundheitsämter übermittelt. Die Sammlung regionaler und nationaler Daten soll dann dabei helfen, gezielte Interventionsmaßnahmen zu etablieren und zu einem internationalen Surveillance-Netzwerk beitragen. Solche Netzwerke dienen dem internationalen Austausch sowie der Analyse von Trends und existieren sowohl auf europäischer (European Antimicrobial Resistance Surveillance Network, EARS-Net) als auch globaler Ebene (Global Antimicrobial Resistance Surveillance System, GLASS). (European Centre for Disease Prevention and Control 2020; World Health Organisation 2015).

Auf der regionalen Ebene werden ebenfalls MRE-Netzwerke unter Beteiligung der Gesundheitsämter und lokaler Akteure (Krankenhäuser, Arztpraxen, Pflegedienste, Pflegeheime) gebildet. Ziel ist die Verbesserung der Zusammenarbeit in der Versorgung der Betroffenen, insbesondere beim Übergang zwischen stationärer und ambulanter Versorgung sowie die Prävention von Kolonisation und Erkrankung durch MRE. Dabei spielen die lokalen Surveillancedaten eine große Rolle. Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass die Versorgung von Patienten mit Nachweis von multiresistenten Erregern nicht nur die Krankenhäuser, sondern alle Einrichtungen des Gesundheitswesens betrifft und fordert. Eine weitere wichtige Strategie zur Reduzierung der Resistenzbildung ist die Verringerung des Antibiotikaverbrauchs durch frühe Unterbrechung von Infektionsketten und Einhaltung von Hygienemaßnahmen in Gesundheitseinrichtungen. Auch hierbei nimmt der ÖGD nach dem Infektionsschutzgesetz, z.B. §23ff, eine Schlüsselrolle ein.

Voraussetzung für einen nachhaltigen Antibiotikaeinsatz und angemessenes Hygieneverhalten sind dabei weiterhin Bewusstsein und Zugang zu Informationen für alle beteiligten Akteure. Mit der Kampagne “AKTION saubere Hände” soll beispielsweise die Anwendung der Händedesinfektion in deutschen Gesundheitseinrichtungen verbessert werden. Letztlich fördert die Bundesregierung zudem Forschung und Entwicklung auf nationaler und internationaler Ebene, dadurch sollen globale Forschungsprioritäten entsprechend der Bedrohungslage bestimmt und Anreize für die Medikamentenentwicklung gesetzt werden.

Aufgrund der globalen Auswirkungen der Resistenzentwicklung bei lokalem Versagen von Infektions- und Hygienemanagement stellen Antibiotikaresistenzen ein Paradebeispiel für die Verschmelzung von öffentlicher und globaler Gesundheit dar. Durch den Einsatz des Öffentlichen Gesundheitswesens wird nicht nur lokal das Infektionsrisiko reduziert, sondern auch die globale Bedrohung der Resistenzbildung verringert. So hilft es zu verstehen, dass man mit lokalen Anstrengungen zur Verringerung von Antibiotikaresistenzen nicht isoliert agiert, sondern gemeinschaftlich mit vielen anderen Akteuren weltweit in der Erreichung eines gemeinsamen Zieles.

VERLINKUNG: Interview Dr. med. Andreas Zintel (siehe in Kapitel Kurzvorstellungen)

Migration und medizinische Versorgung von Menschen mit Fluchterfahrung

Migration prägt seit jeher unsere Gesellschaft. Sie wird als die Bewegung einer Person oder eine Gruppe von Personen innerhalb einer Staatsgrenze oder über Staatsgrenzen hinaus unabhängig von Dauer, Zusammensetzung und Gründen verstanden. Migration schließt Geflüchtete, Vertriebene, Wirtschaftsmigrant/innen sowie Personen ein, die zu anderen Zwecken, einschließlich der Familienzusammenführung, umziehen oder sich auf dem Weg zu einem neuen Lebensraum befinden (International Organisation for Migration 2020).

Gute Gesundheit ist zwar eine Voraussetzung für Flucht und Migration , was sich auch in Form des sogenannten “Gesunde Migranten Effekts (healthy migrant effects) aus. Danach ist die altersadjustierte Mortalität bei immigrierter Bevölkerung der ersten Generation im Vergleich niedriger. Trotzdem ist die Gesundheit von Personen mit Flucht- oder Migrationserfahrung in der Regel schlechter als in der nicht migrierten Bevölkerung (Metzing and Schacht 2019; Razum, Zeeb, and Rohrmann 2000).

Flucht kann mit verschiedenen gesundheitlichen Problemen wie z.B. Unterkühlungen, Unfallverletzungen, Infektionskrankheiten oder Unter- und Mangelernährung verbunden sein. Zudem erleben geflüchtete Frauen oftmals Einschränkungen in Ihrer sexuellen und reproduktiven Gesundheit und sind sexueller Gewalt ausgesetzt (World Health Organisation 2020b).

Daneben spielt bei Geflüchteten und Migrant/innen die psychosoziale Gesundheit eine große Rolle. Die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), die durch Flucht oder Migration ausgelöst werden kann, weist unter Geflüchteten eine erhöhte Prävalenz auf und kann sich auch anhand von Substanzmissbrauch oder depressiven Symptomen manifestieren. Darüber hinaus kann auch der Anpassungsdruck in der aufnehmenden Gesellschaft eine besondere Rolle für die psychosoziale Gesundheit spielen (Lindert et al. 2018). Dieser auch als minority stress beschriebene Anpassungsdruck beschreibt ein dauerhaftes Stresserleben, bedingt durch geringe soziale Unterstützung, niedrigen sozioökonomischem Status sowie dem Erleben von Vorurteilen und Diskriminierung. Dieses Stresserleben wirkt sich bspw. auf Blutdruck und Angstentwicklung aus und kann langfristig zu Einschränkungen der mentalen und körperlichen Gesundheit führen. (Clark et al. 1999; Richmann, Pascone, and Lattanner 2018; Meyer 2007)

Darüber hinaus führt die Unterbrechung oder das Ausbleiben der Versorgung bei übertragbaren oder nicht übertragbaren Erkrankungen, die eine kontinuierliche Behandlung benötigen, zu reduzierter Gesundheit (World Health Organisation 2020b).

Auch im nationalen Kontext stellt die angemessene gesundheitliche Versorgung von Migrant/innen und Geflüchteten das Gesundheitssystem vor große Herausforderungen. Zum einen kann der Zugang zur Gesundheitsversorgung durch Kommunikationsprobleme und differierende Krankheitskonzepte eingeschränkt sein, zum anderen bestehen für Geflüchtete und Asylsuchende strukturelle Barrieren durch den eingeschränkten Zugang zum Gesundheitssystem nach Asylbewerberleistungsgesetz (Vergleiche: Fallstudie “Gesundheitsversorgung von Menschen ohne Papiere”).

Im Zusammenhang mit der gesundheitlichen Versorgung von Asylsuchenden und Geflüchteten durch den kommunalen ÖGD können Strukturen am Gesundheitsamt der Freien Hansestadt Bremen exemplarisch dargestellt werden. Seit dem Frühjahr 2015 widmet sich dieses Amt der gesundheitlichen Versorgung der nach Bremen kommenden Geflüchteten. Ärzt/innen übernehmen die medizinische Erstuntersuchung in zentralen Erstaufnahmeeinrichtungen, führen Sprechstunden durch, impfen, organisieren Röntgenaufnahmen und beraten zu Tuberkulose. Zudem beziehen sie Stellung zu Bauanträgen von Flüchtlingsunterkünften und führen die hygienische Überwachung dieser Einrichtungen durch. Durch Fortbildungsveranstaltungen zu Infektionskrankheiten und Hygiene an Schulen und bei Trägern von Flüchtlingsunterkünften fungiert das Gesundheitsamt hier als Multiplikator. Bei spezifischen Fragen berät das Gesundheitsamt auch die Politik und andere Behörden.

(siehe Fallstudie: Gesundheitsversorgung von Menschen ohne Papiere)

Tuberkulose

Mitarbeiter/innen im ÖGD begleiten und beraten von Tuberkulose oder anderen Lungenkrankheiten betroffene Patienten/innen und deren Angehörige in allen medizinischen, seuchenhygienischen und sozialen Belangen. Dazu gehören die Untersuchung bei Tuberkuloseverdacht, soziale Beratung im Umgang mit der Krankheit Tuberkulose sowie alle Gesundheitskontrollen gemäß dem Infektionsschutzgesetz bei Kontaktpersonen von Erkrankten. Das Ziel der Bemühungen ist immer, eine weitere Ausbreitung der Tuberkulose zu verhindern.

VERLINKUNG: Interview Dr. Florian Neuhann (siehe in Kapitel Kurzvorstellungen)

(siehe Fallstudie: Tuberkulose in der Klink)

Infektionskrankheiten

Auf der Grundlage der Meldepflichten nach §6 und §7 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) bekommen die Gesundheitsämter Information zu Infektionskrankheiten in ihren Zuständigkeitsbereichen. Danach werden die wichtigsten Informationen zu jeder Erkrankung ermittelt und über die Landesstellen an das RKI gemeldet. Das RKI seinerseits trägt sie zusammen, analysiert sie und macht sie verfügbar. Viele Daten fließen in internationale Statistiken ein, z.B. die des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (European Centre for Disease Prevention and Control, ECDC). So entsteht zum Beispiel die Grundlage für die Entwicklung von Strategien zur Eindämmung (z.B. Hepatitis B und C) oder Ausrottung (z.B. Masern) von bestimmten Infektionskrankheiten. Das Erkennen von Clustern erleichtert die Infektionskontrolle (z.B. Legionellen).

In der Kontrolle der COVID-Pandemie spielen auf der lokalen Ebene die Gesundheitsämter eine Schlüsselrolle. Indem vorwärts und rückwärts Ermittlungen durchgeführt werden, werden Infektionsketten erkannt und unterbrochen, Erkrankte und enge Kontaktpersonen in Quarantäne gesetzt und Cluster aufgedeckt. Durch die Tätigkeit selbst entstehen viele Daten, die zu einem besseren Verständnis dieser Pandemie und ihrer Dynamik führen und in der Folge auch zu gezielteren Kontrollmaßnahmen.

(siehe case study: Kontaktpersonennachverfolgung bei einem COVID-19 Fall)

Universal Health Coverage und Patentrechte

Universal Health Coverage (UHC), oder flächendeckende Gesundheitsversorgung, schließt auch den allgemeinen Zugang zu Medikamenten ein. Die WHO führt eine sogenannte Essential Medicines List, welche die für ein Gesundheitssystem unentbehrlichen Medikamente aufzählt, zu denen der Zugang für jeden gegeben sein sollte (World Health Organisation 2019). Letztendlich hängt der Zugang zu Medikamenten von mehreren Faktoren ab (Obrist et al. 2007):

  • Verfügbarkeit (Availability),

  • geographischer Zugang (Accessibility),

  • Erschwinglichkeit (Affordability),

  • Angemessenheit (Adequacy) und

  • Akzeptanz (Acceptability).

Einschnitte in jeder dieser Dimensionen können den Zugang zu Medikamenten erschweren oder gar verhindern.

So wird beispielsweise in Gesundheitssystemen mit hoher Selbstbeteiligung die Erschwinglichkeit von Medikamenten durch finanzielle Hürden eingeschränkt, während fehlende Infrastruktur und medizinische Unterversorgung in ländlichen Gebieten den geografischen Zugang zu Medikamenten beeinträchtigt. Die Verfügbarkeit von Medikamenten kann minimiert sein, wenn für bestimmte Erkrankungen gar keine Medikamente zur Verfügung stehen. Dies ist teilweise für vernachlässigte Tropenerkrankungen der Fall, da der Vertrieb der notwendigen Medikamente nicht die gewünschten Profite erwirtschaftet und sie daher in der Forschung unterrepräsentiert sind (Wagner-Ahlfs et al. 2009).

Viele dieser globalen Zugangshürden können wir auch in Deutschland beobachten, sodass UHC auch hier ein Ziel ist, das es zu erreichen gilt. Vor allem marginalisierte Bevölkerungsgruppen ohne Krankenversicherung stehen vor diesem Problem, andererseits werden auch nicht alle Medikamente von der Krankenversicherung übernommen.

Aufgrund hoher Medikamentenpreise geraten zunehmend auch Gesundheitssysteme des globalen Nordens unter Druck und sind nicht in der Lage, gewisse Medikamente für alle Patient/innen zur Verfügung stellen (Wagner-Ahlfs et al. 2009; Ärzte der Welt 2018).

VERLINKUNG: Interview Dr. med. Sascha Jatzkowski (siehe in Kapitel Kurzvorstellungen)

(siehe case study: Zugang zu Medikamenten)

Klimawandel

Der Klimawandel hat sich zu einer der größten Bedrohungen für die menschliche Gesundheit entwickelt, einige Expert/innen sprechen sogar von der größten Bedrohung für die menschliche Gesundheit im 21. Jahrhundert (Editorial 2009). Die Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit sind global, sie sind vielfältig und zum Teil bereits heute deutlich zu spüren. Man unterscheidet direkte Folgen wie Hitzetote und Verletzte durch Extremwetterereignisse von indirekten Folgen wie z.B. zunehmende und sich verändernde vektorübertragende Infektionskrankheiten oder Folgen für die mentale Gesundheit (Umweltbundesamt 2020a).

Das Konzept der Planetaren Gesundheit, das in seiner Umfassendheit über die Themenfelder globaler Gesundheit hinausgeht, befasst sich mit den Zusammenhängen zwischen der menschlichen Gesundheit und den umgebenden natürlichen Systemen unseres Planeten, von denen die Existenz der menschlichen Zivilisation abhängt (Whitmee et al. 2015).

Einfacher ausgedrückt bedeutet dies: Gesunde Menschen gibt es nur auf einem gesunden Planeten (Maibach-Nagel 2020).

Global gesehen sind vor allem viele einkommensschwache Länder des globalen Südens besonders hart und zum Teil bereits heute von den Folgen des Klimawandels betroffen und innerhalb dieser Länder sind insbesondere vulnerable Bevölkerungsgruppen besonders gefährdet (United Nations 2019). Ernteausfälle durch Extremwetterereignisse wie Dürren, Hitzewellen aber auch Überschwemmungen wirken sich hier besonders stark aus. Migrationsbewegungen, soziale Unruhen und ein sich veränderndes Spektrum an vektorübertragenden Infektionskrankheiten sind weitere bereits stattfindende und zu erwartende globale Phänomene.

Der Klimawandel ist eine globale Herausforderung, die sowohl auf Ebene der Staatengemeinschaft Handlungsanstrengungen erfordert, als auch eine fokussierte Umsetzung auf nationaler und lokaler Ebene. So bildet Klimaschutz ein wichtiges Ziel der Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDG 13, Climate Action). Internationale Abkommen, wie etwa das Pariser Klimaabkommen können jedoch nur dann Wirkung entfalten, wenn die verabredeten Ziele national umgesetzt werden (Europäische Kommission 2015). Dabei kann die Aufgabe des Klimaschutzes nicht durch den Gesundheitssektor allein erfüllt werden, hierfür ist obligat ein Handeln in allen Politikbereichen notwendig (Health in all Policies Ansatz).

Auch in Deutschland kommt dem Gesundheitssektor jedoch auf verschiedenen Ebenen eine zentrale Rolle zu: Zum Einen trägt der Gesundheitssektor selbst zu einem beträchtlichen Teil der Treibhausgasemissionen bei; in Deutschland sind dies aktuell 5 % der nationalen Treibhausgasemissionen (Bundesärztekammer 2019). Zum anderen wird das Gesundheitssystem mit den Folgen des Klimawandels konfrontiert. Sowohl der ambulante als auch der stationäre Sektor muss sich auf ein sich veränderndes Krankheitsspektrum und klimaassoziierte zunehmende Morbidität und Mortalität einstellen. Auf der anderen Seite gehen Klimaschutzmaßnahmen oft mit erheblichen positiven Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit einher; etwa im Bereich Mobilität durch den Ausbau von öffentlichem Nahverkehr und Fahrradwegen oder verbesserter Luftqualität durch Reduktion der Nutzung fossiler Brennstoffe und der Einführung von Tempolimits.

Außerdem hat Gesundheitspersonal in Deutschland eine anerkannte und einflussreiche Stellung, woraus die Möglichkeit und Verantwortung erwächst, diese für einen nachhaltigen und langfristig gedachten Einsatz für die menschliche Gesundheit zu nutzen (Maibach-Nagel 2020). Diese Haltung schließt nicht nur den Einsatz für aktuelle Patient/innen ein, sondern auch Klimaschutz als Gesundheitsschutz für die zukünftigen Generationen, da bereits die heutigen Kinder in einer Welt leben werden, die 4 °C wärmer sein wird als noch der vorindustrielle Durchschnitt (Bundesärztekammer 2019).

In den letzten Jahren haben sich auch unter Gesundheitspersonal zahlreiche Initiativen gebildet, die sich zum Ziel gesetzt haben, sich aktiv für Klima- und Gesundheitsschutz einzusetzen. Hierzu zählt etwa die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V. mit der Aktion Health for Future oder die Schüler/inneninitiative Fridays for Future.

Der Tatsache, dass auch Forschung und Lehre an der Schnittstelle von Klimawandel und Gesundheit essentieller Bestand der Aus- und Weiterbildung von Gesundheitsberufen werden sollte, wurde durch die Benennung der ersten Professur für Klimawandel und Gesundheit Ausdruck verliehen, die 2019 gemeinsam von der Charité – Universitätsmedizin Berlin und dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) eingerichtet wurde.

Gesundheitliche Auswirkungen von Hitze

Mit immer häufiger auftretenden Wetterextremen stoßen die gesundheitlichen Auswirkungen von Hitze vermehrt auf öffentliches Interesse. In Städten mit dem sogenannten Wärmeinseleffekt, in denen die bebauten Flächen im Vergleich zum Umland mehr Wärme speichern und diese verzögert wieder abgegeben, ist die Hitzebelastung besonders ausgeprägt. Neben der Hitze an sich stellen die damit einhergehenden Tropennächte (Temperaturen ab 20 °C) eine besondere Belastung dar. Vulnerable Bevölkerungsgruppen wie z. B. Ältere, chronische Erkrankte und Kinder leiden dabei besonders unter den Auswirkungen von Hitze. Diese stellt ebenso bei bestimmten chronischen Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Kenny et al. 2010), neurologischen Erkrankungen (Kovats and Hajat 2008), Atemwegserkrankungen (Schifano et al. 2009) oder Nierenerkrankungen (Flynn, McGreevy, and Mulkerrin 2005) einen zusätzlichen Risikofaktor dar. Ein Monitoring kann dabei helfen, die Belastung von Hitze auf die Bevölkerungsgesundheit abzuschätzen, um bei Bedarf weitere Maßnahmen einzuleiten. Hierzu sind die umweltmedizinischen Abteilungen des ÖGD in der Lage, entsprechende Daten epidemiologisch zu erfassen und auszuwerten.

Klimawandelanpassung durch Hitze-Monitoring in Frankfurt am Main

Das Gesundheitsamt Frankfurt am Main führt seit der Hitzewelle von 2003 ein systematisches Mortalitäts- und Morbiditätsmonitoring durch und konnte so die Übersterblichkeit während Hitzewellen im Frankfurter Stadtgebiet beschreiben. So war während einer Hitzewelle im Sommer 2015 eine Exzessmortalität von 38,1 % zu verzeichnen. Im selben Zeitfenster war eine Exzessmorbidität (gemessen an Krankenhauseinweisungen) von 22 % zu beobachten (Steul et al. 2018).

Abbildung 2: Heiße Tage und Tropennächte 2001 bis 2019 (Frankfurt am Main). Quelle: UBA / DWD

Aufgrund dieser Zahlen wurde zunächst ein Hitzewarnsystem etabliert, mit dem analog zu den Warnstufen des Deutschen Wetterdienstes vom Gesundheitsamt Warnungen an Einrichtungen mit vulnerablen Bevölkerungsgruppen ausgesprochen wurden (Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Schulen und Kindergärten). Diese wurden durch Informationsmaterial, Empfehlungen und Fortbildungen begleitet. Dadurch sollte das Ziel verfolgt werden, die Exzessmortalität und -morbidität bzw. die Hitzebelastung auf vulnerable Gruppen in der Stadt zu senken.

Unabhängig hiervon wurde von der Koordinierungsgruppe Klimawandel (KGK) – ein ämterübergreifendes kommunales Gremium – die Klimawandelanpassungsstrategie der Stadt Frankfurt am Main erarbeitet und verabschiedet. Das Gesundheitsamt platzierte hier den Fokus auf die Gesundheit der Stadtbevölkerung mit möglichen kommunalen Strategien zur Bewältigung von Herausforderungen im Rahmen des Klimawandels (z.B. Hitze, neue Vektoren). Dabei wurde beispielsweise gefordert, einen gesamtstädtischen Hitzeaktionsplan zu etablieren. Dieser Auftrag wurde vom Gesundheitsamt in einem nächsten Schritt mit der Implementierung des Plans in der KGK aufgegriffen. Derzeit berät und erarbeitet das Gremium die Umsetzung, um die Bevölkerung sowohl langfristig als auch in Akutsituationen vor den gesundheitsschädlichen Folgen von Hitze zu schützen. Anhand dieses Problems wird die Wichtigkeit der multiprofessionellen und interdisziplinären Arbeit in politischen Gremien oder Netzwerken deutlich.

Abbildung 3: Anzahl der Tage mit einem Lufttemperatur-Maximum über 30 Grad Celsius. Quelle: UBA / DWD

Dieses Monitoring kann Teil der Evaluation eines übergeordneten Hitzeaktionsplans sein. Dieser ist ein Maßnahmenkatalog, der den Umgang mit Hitze vor Ort regelt und Maßnahmen und Zuständigkeiten definiert. Neben Langzeitmaßnahmen zur allgemeinen Reduktion der Hitzebelastung in Städten (z. B. Begrünungsmaßnahmen, Anpassung des Städte- und Gebäudebaus) sind hier von den Akteur/innen Akutmaßnahmen festzulegen (z. B. Hitzewarnungen an besondere Einrichtungen, Maßnahmenempfehlungen), um bei Temperaturextremen die Zahl der hitzebedingten Todes- und Erkrankungsfälle vor Ort zu minimieren. Diese Maßnahmen leiten sich von den Handlungsempfehlungen der ehemaligen Bund/Länder-Ad-hoc Arbeitsgruppe “Gesundheitliche Anpassung an die Folgen des Klimawandels (GAK)” zur Erstellung von Hitzeaktionsplänen ab (Mücke and Straff 2020). Mithilfe einer Informations- und Maßnahmenkaskade können die zuständigen Akteure und Stellen so bei akuten Hitzeereignissen zielgerichtet und besonders effizient zum Schutze der Bevölkerung beitragen und die gesundheitsschädlichen Auswirkungen von Hitze auf ein mögliches Minimum reduzieren.

Der Berliner Umweltgerechtigkeitsplan

Umweltschutz, soziale Gerechtigkeit und Gesundheit können sich gegenseitig verstärken, z.B. wenn Bevölkerungsgruppen mit geringem Einkommen, aufgrund ihrer Wohnsituation höheren Umwelt- und Gesundheitsbelastungen ausgesetzt sind. So befindet sich günstiger Wohnraum häufig an stark befahrenen Straßen, wodurch Lärmbelastung und Luftverschmutzung höher ausfallen, sowie weiter entfernt von Grünflächen, was zur Hitzeentwicklung in den Wohnräumen beiträgt (Umweltbundesamt 2020b). Diese Umweltfaktoren stellen Risiken für die physische und psychische Gesundheit dar.

Die Mehrfachbelastungen durch Umwelt- und sozioökonomische Faktoren hat das Land Berlin in seinem Umweltgerechtigkeitsbericht abgebildet (s. Berliner Umweltgerechtigkeitskarte) (Klimeczek, Dittfurth, and Luxat 2019). Dazu wurde u.a. die Belastung von Lärmbelastung, Luftbelastung, thermischer Belastung, Grün- und Freiflächenversorgung gemeinsam mit sozialen Faktoren betrachtet.

Abbildung 4: Umweltgerechtigkeit im Land Berlin 2016/17 - integrierte Mehrfachbelastungskarte

Das Land Berlin hat sich das Ziel gesetzt, diese Mehrfachbelastungen im Konzept der Umweltgerechtigkeit in der Stadtplanung zu berücksichtigen. Dabei definiert es die Rolle der Umweltgerechtigkeit wie folgt:

“Umweltgerechtigkeit verfolgt auf diese Weise das Ziel, umweltbezogene gesundheitliche Beeinträchtigungen zu vermeiden und zu beseitigen sowie bestmögliche umweltbezogene Gesundheitschancen herzustellen.” (Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz 2020)

Der Berliner Umweltgerechtigkeitsplan veranschaulicht, wie globale Herausforderungen wie Klima- und Umweltschutz mit lokaler Gesundheitsförderung verzahnt sind und wie intersektoral Gesundheitsförderung auf kommunaler Ebene betrieben werden kann. Lokal verbesserte Umweltbedingungen können umgekehrt nicht nur Gesundheit schützen, sondern auch zur Verringerung eines planetaren Gesundheitsproblems beitragen.