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Sie sind Assistenzärztin im ÖGD und zur Zeit in der Inneren Medizin einer Universitätsklinik in einer mittelgroßen Stadt tätig. Sie sind kürzlich in die Infektiologie rotiert. Sie sind bereits mit dem Krankheitsbild der Tuberkulose (TB) vertraut, da Sie sich für Globale Gesundheit interessieren und nach dem Studium einige Monate im Ausland in einem Projekt zur Versorgung von Menschen mit TB gearbeitet haben. Sie freuen sich nach der Ausbildungszeit in allgemeiner Innerer Medizin wieder mehr mit Menschen zu arbeiten, die eine Infektionserkrankungen haben.

In der Betreuung eines TB-Patienten, der als Asylsuchender vor 6 Monaten nach Deutschland gekommen ist, fällt Ihnen auf, dass er im zweiten Monat der Behandlung zunehmend kontaktscheu wirkt und den letzten Kontrolltermin nicht wahrgenommen hatte. Bislang haben Sie auf Englisch mit dem Patienten kommuniziert, das er relativ gut spricht.

Was würden Sie tun?

Sie organisieren einen Dolmetscher, damit Sie in seiner Muttersprache mit ihm kommunizieren können. Dabei erfahren Sie, dass er die Medikamente zuletzt nicht regelmäßig eingenommen hat, da es ihm nach drei Wochen der Medikamenteneinnahme besser ging und er aktuell viele andere Probleme habe. Sie fragen nach und erfahren, dass er Sorgen habe, nach Griechenland abgeschoben zu werden (auf Grund der Dublin III Verordnung können Asylbewerber ohne Recht auf Prüfung des Asylantrages in das Land der ersten Einreise nach Europa abgeschoben werden). Außerdem leide er unter zunehmender Schlaflosigkeit und wiederkehrenden Erinnerungen an traumatische Ereignisse auf der Flucht. Sie machen sich Sorgen, dass Ihr Patient die Behandlung abbrechen könnte, was die Entwicklung einer medikamentenresistenten Tuberkulose und die Verschlechterung seines Gesundheitszustandes sowie, in der Folge, ein Infektionsrisiko für andere nach sich ziehen könnte.

Sie organisieren eine konsiliarische Vorstellung bei einem psychiatrischen Kollegen, um dem Patienten klinisch helfen zu können. Sie nehmen erneut Kontakt mit dem Gesundheitsamt auf, das bereits für die Umgebungsuntersuchung bei diesem Patienten zuständig war und erfahren von einem TB-Patenprojekt, das in der Kooperation zwischen dem Gesundheitsamt und einer anderen Klinik Ihrer Stadt vor kurzem entstanden ist. Die engagierte Ärztin, die im Gesundheitsamt Ihrer Stadt für Tuberkulose zuständig ist, verlinkt sie mit dem TB-Patenprojekt, in das der Patient aufgenommen wird. Innerhalb des Projektes beraten studentische Paten/innen den Patienten zu seinen Fragen und Sorgen rund um die Erkrankung. Sie sind zwischen den ärztlichen Kontrollterminen niederschwellig mit dem Patienten in Kontakt und stellen so eine wertvolle Brücke her, um frühzeitig Probleme bei der Therapietreue zu bemerken oder eben gar nicht erst entstehen zu lassen. Sie schreiben zudem ein Gutachten, das für die Dauer der Tuberkulosebehandlung hilft, eine drohende Abschiebung auszusetzen. Da Sie als Assistenzärztin noch wenig Wissen über das Aufenthaltsgesetz haben, sind Sie dankbar für die Hinweise der Kollegin aus dem Gesundheitsamt zum Vorgehen.

Fazit

Ihnen wurde an diesem konkreten Fall aus der Praxis als aktuell klinisch tätige Ärztin klar, dass die Konzepte von (community-) DOTS (directly observed therapy strategy), die Sie bei Ihrem Auslandseinsatz kennengelernt hatten, auch Relevanz in Deutschland haben. Sie haben erkannt, wie wichtig Kenntnisse des Infektionsschutzgesetzes sowie eine gute Zusammenarbeit des Gesundheitsamtes und der klinischen Behandler/innen der TB-Patienten sind. Ihr Wissen über das mögliche Auftreten von post-traumatischen Belastungsstörungen mehrere Monate nach einer Flucht sowie über die Bedeutung von kultursensibler Kommunikation mit Dolmetscher/innen in der Muttersprache und die kooperative Kommunikation mit dem ÖGD haben dazu beigetragen, dass dieser Patient am Ende seine Tuberkulose ausheilen konnte, die mentale Gesundheit stabilisiert sowie eine Resistenzentstehung und eine Infektion weiterer Personen verhindert werden konnte.

Sie erkennen wie Sie Aspekte Globaler Gesundheit im lokalen Kontext anwenden konnten und freuen sich auf die Weiterbildungszeiten im Gesundheitsamt.

Fallbeispiel: Kontaktpersonennachverfolgung bei einem COVID-19 Fall

Sie sind frisch approbiert und unterstützen in einem Gesundheitsamt die Abteilung Infektionsschutz. Es ist ihr vierter Tag. Sie haben bereits die Durchführung der Anrufe bei Erkrankten und Kontaktpersonen gelernt. Sie kennen die wichtigsten Fragen für die Kontaktpersonennachverfolgung, können den Ansteckungszeitraum eingrenzen, kennen die wichtigsten Beratungsinhalte des Gesprächs. Heute bekommen Sie einen neuen Fall. Der Erkrankte ist 33 Jahre alt und wohnt in einer Unterkunft der öffentlich-rechtlichen Unterbringung mit seiner 6-köpfigen Familie.

Was würden Sie tun?

Sie beginnen damit, den Ansteckungszeitraums festzulegen und die Kontaktpersonen aufzulisten. Der Erkrankte war Praktikant in einer Kindertagesstätte neben seiner Wohnunterkunft. Er lebt mit seiner Mutter, seiner Ehefrau, seinen 2 Kindern und einem Cousin in einer beengten Wohnung mit eigenem Bad und eigener Küche. Den Hauseingang teilt sich die Familie mit anderen Bewohner/innen. Die Kinder besuchen die Grundschule.

Was würden Sie tun?

Angesichts der zahlreichen Kontakte und der Komplexität der Kontaktpersonennachverfolgung bitten Sie eine erfahrene Gesundheitsaufseherin zu helfen. Diese erfasst schnell, dass mehrere Lebenswelten betroffen sind, in welchen Cluster bevorzugt auftreten. Ein Team wird gebildet und die verschiedenen Bereiche werden aufgeteilt. Rasch werden über die bereits bestehenden Netzwerke Kontakt mit den Einrichtungen aufgenommen, die Hygienekonzepte geprüft und die Kontaktlisten angefordert. Die engen Kontaktpersonen werden unter Quarantäne gestellt und beraten. Darüber hinaus fällt Ihnen auf, dass die Mutter des Erkrankten Risikoperson ist und keine Möglichkeit hat, sich in der Häuslichkeit zu separieren. Sie nehmen Kontakt auf mit der Leitung der Einrichtung und organisieren, mit dem Einverständnis des Erkrankten, seine Isolierung in einer getrennten Wohneinheit.

Sie organisieren eine Testung der asymptomatischen engen Kontaktpersonen in der Wohnunterkunft und in der Kita. Dabei wird eines der beiden Kinder des Indexfalls positiv getestet sowie eine Kollegin in der Kita. Das betroffene Kind hatten Sie rechtzeitig unter Quarantäne gestellt, sodass sich keine weiteren Maßnahmen in der Schule ergeben. Das Kind wird nachfolgend mit seinem Vater den Rest seiner Isolierung verbringen. Bei den Ermittlungen fällt Ihnen zudem auf, dass wenige Tage zuvor bereits 3 Fälle in derselben Wohnunterkunft, aber in zwei verschiedenen Wohneinheiten aufgetreten waren. Mit einem von den drei pflegt der Indexpatient regelmäßigen Kontakt. Von einem Ausbruch in der Unterkunft geht man aufgrund des zeitlichen und örtlichen Zusammenhangs aus.

Wie gehen Sie weiter vor?

Gemeinsam entscheiden Sie, eine groß angelegte Testung der Bewohner/innen der Wohnunterkunft (130 Personen) und der betroffenen Kita-Gruppen (60 Personen) zu veranlassen. Bis zum Vorliegen der Ergebnisse sind die Bewohner/innen der Unterkunft unter Quarantäne gestellt. Hierzu kommt Ihnen ein spezielles Team zu Hilfe, das Abstriche in Einrichtungen durchführt. Die Kitaleitung und die Einrichtungsleitung arbeiten kräftig mit. Am folgenden Tag liegen die Ergebnisse vor: Zwei weitere Bewohner sind in bereits betroffenen Wohneinheiten positiv getestet. In der Kita ist bis auf die bekannte Mitarbeiterin niemand erkrankt. Die Quarantäne in den nicht betroffenen Wohneinheiten der Wohnunterkunft wird aufgehoben.

Acht Tage nach dem Bekanntwerden des Testergebnisses des Indexfalls haben Sie mit Ihren Kollegen 3 Folgefälle aufgedeckt, um die 200 Personen testen lassen und deren Ergebnisse ausgewertet, 30 enge Personen unter Quarantäne gestellt sowie vorübergehend die gesamte Unterkunft. Der von Ihnen aufgedeckte Ausbruch betraff 7 Infizierte. Sie haben viele Gespräche mit besorgten Bürger/innen geführt, die von den Geschehnissen in der Unterkunft erfuhren, sowie mit Eltern aus der Kita und der Grundschule. Anfragen der Presse liefen über den Pressesprecher ihres Amtes.

Fazit

Anhand dieses Falls konnten Sie lernen, wie schnelle Kontaktpersonennachverfolgung zur Eindämmung der Pandemie beiträgt. Sie haben auch gelernt, dass eine gute Zusammenarbeit mit allen Beteiligten unentbehrlich ist, um rasch Maßnahmen umsetzen zu können. Sie haben das Aufgabengebiet einer Gesundheitsaufseherin kennengelernt und gesehen, wie wichtig Interdisziplinarität im Team ist.

Sie haben gelernt, wie sich beengte Wohnverhältnisse auf das Verbreiten des Virus auswirken und den Einfluss von sozialen Determinanten auf die Gesundheit konkret erfahren.

Sie haben die Erfahrung gemacht, wie schnell sich Informationen verbreiten und dass eine klare Kommunikation über angeordnete Maßnahmen notwendig ist, um Akzeptanz zu erzielen.

Fallbeispiel: Syphilis

Sie arbeiten derzeit als Arzt/Ärztin in Weiterbildung in einer großen Hausarztpraxis mit Schwerpunkt sexuell übertragbare Infektionen (Sexually Transmitted Infections, STIs). Bereits mehrfach haben Sie eine Patientin betreut, welche sich sporadisch bei Ihnen vorstellt. Sie berichtet über rezidivierende Unterleibschmerzen, zudem sei vor 6 Monaten eine Chlamydieninfektionen bei der Gynäkologin behandelt worden. Nun stellt sich die Patientin mit einem Verdacht auf Lues vor. Sie berichtet vor 4 Wochen mit einem Mann geschlafen zu haben, der positiv getestet worden sei.

Was würden Sie tun?

Sie beruhigen die Patientin zunächst und erheben eine ausführliche Anamnese. Diese beinhaltet eine ausführliche Sexual- und Drogenanamnese, um eventuelle Risiken zu evaluieren und den Beratungsbedarf einzuschätzen. Zudem informieren Sie sich auf der Seite der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Sexuell Übertragbare Erkrankung bzgl. der notwendigen Diagnostik und Therapie.

Die Patientin berichtet ungeschützten Verkehr und des Öfteren wechselnde Partner gehabt zu haben. Drogen nehme Sie keine. Regelmäßige STI-Screenings habe Sie in Finnland, wo sie herkomme, durchgeführt diese aber mangels bekannter Angebote in Deutschland nicht mehr durchführen lassen. Ihr letzter HIV-Test sei schon drei Jahre alt. Aktuell habe Sie keine Symptome und auch keine Unterbauchschmerzen.

Wie gehen Sie weiter vor?

Sie untersuchen die Patientin ausführlich. Dies beinhaltet entsprechend dem Leitfaden zur STI Therapie auch eine Untersuchung der Vulva und des Perineum, der perianalen Region sowie der Leistenlymphknoten, des Mund- und Rachenraumen und der Haut. Dann schlagen Sie der Patientin vor ein STI-Screening einschließlich eines Rachen sowie ano- und genitalen Abstriches auf Chlamydien, Gonorrhoe und Mykoplasmen sowie eine Serologie auf HIV, Hepatitis B und C und eine Lues-Serologie (TPHA Test und FTA Abs) durchzuführen. Die Patientin gibt die schriftliche Einwilligung zu einem HIV-Test .

Aufgrund des stattgehabten Kontaktes empfehlen Sie zudem, nach anamnestischem Ausschluss einer Penicillinallergie, die Behandlung mit Penicillin im (gluteal li/re je 1.2 Mio IE). Zur Verhinderung einer anaphylaktischen Herxheimer Reaktion erhält die Patientin zudem 1 mg /kg Prednisolon oral. Sie erklären der Patientin, dass die Behandlung aufgrund der großen Flüssigkeitsmenge, die injiziert werden muss, schmerzhaft sein kann. Nach der Medikation bleibt die Patientin zu Überwachung zwei Stunden in der Praxis.

Sie erklären der Patientin nun, dass Syphilis und viele andere STIs auch als Schmierinfektion übertragen werden können, und informieren über präventive Maßnahmen.

Nach vier Tagen bestellen Sie die Patientin wieder ein. Der Befund einer Syphilis hat sich serologisch bestätigt. Aufgrund der anamnestisch erst kürzlich stattgehabten Infektion handelt es sich um eine Frühsyphilis, die mit einer einmaligen antibiotischen Behandlung mit Penicillin ausreichend therapiert ist. Der Erfolg der Therapie sollte 3-6, 9 und 12 Monate nach Therapie klinisch und durch eine Follow-up-Serologie überprüft werden. Auf ungeschützten Verkehr sollte bis zur Negativierung der Serologie verzichtet werden. Sie bitten die Patientin ihre Sexualpartner über eine mögliche Infektion mit Syphilis zu informieren und diesen eine ärztliche Untersuchung zu empfehlen. Zudem besprechen Sie mit der Patientin die notwendigen Impfungen. Sie sehen, dass die Hepatitis A und B Impfung nicht vollständig vorliegen, eine 2-malige HPV Impfung wurde jedoch in der Kindheit durchgeführt. Die Hepatitis Impfung holen Sie beim nächsten Termin nach. Sie empfehlen der Patientin die Zentren für sexuelle Gesundheit und Familienplanung, in denen in multiprofessionellen Teams sämtliche Fragen rund um die sexuelle Gesundheit beantwortet sowie STI Screenings durchgeführt werden.

Wie war noch mal die rechtliche Situation?

Sie erinnern sich, dass die Syphilis eine meldepflichte Erkrankung ist. Genaueres wissen Sie aber gerade auch nicht mehr. Daher recherchieren Sie auf der Webseite des RKI. Hier erfahren Sie, dass gemäß § 7 Abs. 3 IfSG der direkte oder indirekte Nachweis von Treponema pallidum nicht namentlich gemeldet werden muss. Sie stellen jedoch fest, dass in diesem Fall die labordiagnostische Einrichtung die Meldung durchführt (§ 8 Abs. 3 IfSG).

Fazit

Deutschland verzeichnet in den letzten Jahren einen Anstieg der Inzidenz bei vielen sexuell übertragbaren Krankheiten (Deutsches Ärzteblatt 2019). Diese verlaufen oft asymptomatisch und können unbehandelt schwerwiegende Folgen bis zur Infertilität haben.

Die Struktur sexueller Gesundheitsversorgung in Deutschland ist geprägt von einer Vielzahl verschiedener Akteure auf diversen Ebenen. Die meisten Angebote sind allerdings nur für bestimmte Gruppen wie bspw. z. B. Männer, die Sex mit Männern haben, Sexarbeiter/innen, Menschen, die sexualisierte Gewalt erleben konzipiert. Angebote sind sowohl innerhalb der medizinischen Regelversorgung (Gynäkologie, Urologie, Dermatologie, Allgemeinmedizin, STI-Kliniken) als auch im öffentlichen Gesundheitsdienst und bei Nicht-regierungsorganisationen verortet.

STI-Diagnostik und Therapie befinden sich an einer Schnittstelle zwischen individueller und öffentlicher Gesundheit. Ratsuchende und Erkrankte sind individuell betroffen und profitieren von frühzeitiger Behandlung der Infektion. Zugleich tragen sie Mitverantwortung für Sexualpartner/innen, die vor Ansteckung geschützt, bei bestehenden Erkrankungen informiert und behandelt werden sollen. Zudem sind STI auch eine Herausforderung für Gesellschaft und Solidargemeinschaft, denn eine unbehandelte STI-Infektion birgt das Risiko einer unkontrollierten Verbreitung, was mit einer erhöhten Krankheitslast und hohen Kosten für Individuen und das Gesundheitssystem einhergeht (Deutsche STI-Gesellschaft 2020).

Fallbeispiel: Versorgung von Menschen ohne Papiere

Sie befinden sich in der Ausbildung zur Facharzt/Fachärztin für Öffentliches Gesundheitswesen. Sie arbeiten derzeit in der Rettungsstelle eines großstädtischen Krankenhauses in öffentlicher Trägerschaft. Dort stellt sich ein 65-jähriger Mann aus Moldawien vor, der seit über 20 Jahren ohne Papiere und Krankenversicherung in Deutschland lebt. Er kommt mit schwerer Luftnot und wurde von der medizinischen Anlaufstelle einer Nichtregierungsorganisation (Non-Governmental Organization, NGO) zu Ihnen verwiesen. Im Krankenhaus stellen Sie eine fortgeschrittene Herzinsuffizienz fest. Noch während des stationären Aufenthaltes erleidet der Patient in Folge seiner Erkrankung einen Schlaganfall und ist fortan auf fremde Hilfe angewiesen. Der Patient hat jetzt große Sorge vor einer Abschiebung, zudem stellt er sich die Frage, wie die im Krankenhaus entstandenen Kosten beglichen werden können. Der Patient selbst ist mittellos. (adaptiert aus Notfallhilfe im Krankenhaus für Menschen ohne Papiere, Bundesarbeitsgruppe Gesundheit/Illegalität (2019))

Was würden Sie tun?

Sie wenden sich mit Ihrer Frage an einen befreundeten Mitarbeiter einer NGO, die sich mit diesem Themenfeld befasst und Ihnen die Rechtslage erklärt. Dieser berichtet, dass Ärzte/Ärztinnen und anderes medizinisches Personal verpflichtet sind, medizinische Notfallversorgung zu leisten. Die Behandlung von Menschen ohne aufenthaltsrechtlichen Status ist nicht strafbar, wenn sich die Tätigkeit auf die Erfüllung der beruflichen Pflichten beschränkt. Menschen ohne aufenthaltsrechtlichen Status haben einen Anspruch auf ambulante und stationäre Versorgung von akuten Erkrankungen, Schmerzzuständen und im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge und Geburt (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. §§ 4, 6 AsylbLG). Allerdings ist die Wahrnehmung dieser Versorgungsansprüche durch das Aufenthaltsrecht (§ 87 Abs 2. AufenthG) in Frage gestellt, wonach öffentliche Stellen, wie bspw. Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft und Sozialämter, die Ausländerbehörden über rechtlich unerlaubte Aufenthalte in Kenntnis setzen müssen.

Ihr Freund berichtet aber, dass zur Umgehung dieser Pattsituation in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum AufenthaltsG (AufenthG-VwV) geklärt wurde, dass in Notfällen, wie bei Ihrem Patienten aus Moldawien, sich die ärztliche Schweigepflicht auf das gesamte mit der Abrechnung befasste Verwaltungspersonal,auch bis hin zur Sozial- oder Ausländerbehörde, erstreckt. Über diesen Weg können somit berechtigte Leistungen über das AsylbLG abgerechnet werden.

Praktische Hürden bei der Umsetzung dieser Rechtsgrundlage ist zum einen mangelnde Kenntnis bzgl. dieses verlängerten Geheimnisschutzes in Krankenhäusern und bei Sozialbehörden. Zum anderen scheitert die rückwirkende Finanzierung durch das Sozialamt häufig an der sogenannten Bedürftigkeitsprüfung, welche unter anderem den Nachweis von Mietverträgen und Einkommen (in Form eines Kontoauszuges) erfordert, die zum Teil aufgrund der Lebenssituation von Menschen ohne Papiere nicht erbracht werden können.

Wie gehen Sie weiter vor?

Sie tauschen sich mit der zuständigen Sozialarbeiterin über die nun gewonnenen Erkenntnisse aus. Zudem empfehlen Sie eine Rechtsberatung, um zu klären, ob ein Aufenthaltsrecht aus humanitärem Grund aufgrund der schwerwiegenden gesundheitlichen Situation des Patienten erwirkt werden kann

Fazit

Anhand dieses praktischen Falls konnten Sie lernen, dass universeller Zugang zu Gesundheitsversorgung, welche in den Zielen für nachaltige Entwicklung verankert ist, auch in Hochlohnländern wie Deutschland nicht für alle Menschen in gleicher Form gewährleistet ist.

Im europäischen Vergleich zeigt sich, dass Deutschland zwar über qualitativ gute Gesundheitsversorgungsmöglichkeiten verfügt, allerdings ist der effektive Zugang zur Versorgung limitiert (Ingleby and Petrova-Benedict 2016).

Fallbeispiel: Zugang zu Medikamenten

Sie sind Arzt/Ärztin im Zentrum für sexuelle Gesundheit und Familienplanung. Eine 27-jährige Frau wendet sich mit einer ungewollten Schwangerschaft in der 8. Woche nach der letzten Monatsblutung an Sie.

Wie gehen Sie in der Beratung vor?

Sie beraten die Frau bezüglich der Möglichkeiten des Abbruchs und erklären die Beratungsregelung in Deutschland, nach der ein Schwangerschaftsabbruch (SSA) bis zur 12. Woche nach Empfängnis (14.Wochen nach dem 1. Tag der letzten Monatsblutung) straffrei ist. Vorrausetzung für die Straffreiheit ist eine ergebnisoffene Beratung , welche mind. 3 Tage vor dem Eingriff von einer anerkannten Beratungsstelle durchgeführt werden muss. Die Frau berichtet Ihnen, nicht zu wissen wo sie sich bezüglich der Durchführung eines SSA melden könnte. Sie suchen mit der Frau mit Hilfe der Liste der Bundesärztekammer (https://www.bundesaerztekammer.de/aerzte/versorgung/schwangerschaftsabbruch/) eine gynäkologische Praxis heraus, die einen SSA durchführt und besprechen mit ihr, ob sie einen medikamentösen oder operativen Schwangerschaftsabbruch bevorzugt.

Was möchten Sie noch von der Patientin wissen, insbesondere im Hinblick auf Prävention?

Sie fragen noch einmal genau nach, welche Umstände die Schwangerschaft begünstigt haben könnten und wie die derzeitige Praxis bezüglich Verhütung ist. Die Patientin schildert Ihnen nach einem Arbeitsplatzverlust in einer finanziell schwierigen Lage zu sein. Deshalbhabe sie sich Verhütung nicht leisten können und weder mit Barrieremethoden noch hormonell verhütet. Der Partner übe zudem Druck aus, ohne Kondome zu verhüten.

Die Frau, die Sie beraten, ist sich ihrer schwierigen Lagen bewusst. Sie habe daher auch einen Termin mit einer Gynäkologin vereinbart. Diese habe ihr aber keine Hilfsangebote aufzeigen können. Die Frau habe somit seblst entschieden nach der Kalendermethode zu verhüten. Allerdings sei ihr Zyklus wegen des Stresses durch die Jobsuche derzeit nicht regelmäßig. Jetzt ist die Frau sehr bestürzt, dass es doch zu einer Schwangerschaft gekommen ist. Die Frau schätzt sich selbst eigentlich als gut informiert ein und habe sich nie vorstellen können, einmal in so einer Situation zu sein.

Welche Optionen können Sie der Patientin aufzeigen?

Sie vereinbaren mit der Frau einen weiteren Termin und zeigen die Möglichkeit der Kostenübernahme für Verhütungsmittel für Menschen mit geringem Einkommen durch die Zentren für sexuelle Gesundheit und Familienplanung auf.

Die Frau ist sichtlich erleichtert, dass es ein Angebot gibt und ihre Angst, erneut in eine solche Situation zu kommen scheint ihr genommen.

Fazit

Zugang zu Medikamenten ist selbst in Deutschland nicht immer für alle Bevölkerungsgruppen gegeben. Obwohl Barrieremethoden, hormonelle und weitere Verhütungsmethoden auf der Liste der essentiellen Medikamente der Weltgesundheitsorganisation gelistet sind, übernehmen in Deutschland die Krankenkassen nach dem 18. (geplanter Gesetzesentwurf ab dem 22.) Lebensjahr die Kosten der Verhütung nicht mehr (World Health Organisation 2020). Sie lernen, dass ein umfassender Zugang (Affordability, Availability, Accessibility, Adequacy, Acceptability) zu Verhütung nicht für alle Menschen in Deutschland gegeben oder erschwert ist (Obrist et al. 2007).

In einigen Städten gibt es die Kostenübernahme durch Zentren für sexuelle Gesundheit oder Organisationen wie ‘pro familia’, die versuchen diese Lücke zu schließen. In vielen ländlichen Gegenden gibt es diese Option aber nicht.