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► Inhaltsverzeichnis Kapitel (ausklappbar)
  1. Aufgabenspektrum

Der sozialpsychiatrische Dienst ist in der Bevölkerung relativ wenig bekannt und führt auch in Fachkreisen ein Schattendasein. Er ist aus den Reformbemühungen der ehemaligen Bundesrepublik Deutschland (BRD) entstanden, insbesondere in den Empfehlungen der Expertenkommission

  1. In der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) hingegen gab es vor der Wende die sogenannten nervenärztlichen Beratungsstellen als vergleichbare Einrichtung in der ambulanten Versorgung. Zielgruppe der SpDis sind insbesondere die Menschen, die aufgrund ihrer Erkrankung (noch) nicht in der Lage sind, die Angebote des regulären Versorgungssystems wahrzunehmen. Damit werden die SpDi´s zur “letzten Wiese” der psychiatrischen Versorgung.

Aufgabenspektrum

Das Aufgabenspektrum der SpDi beinhaltet nach den Empfehlungen der Expertenkommission der Bundesregierung (1988) zur Reform der Versorgung im psychiatrischen, psychotherapeutisch-psychosomatischen Bereiche zufolge (Wikipedia 2020):

  1. Beratung:

    von Hilfesuchenden, Angehörigen und Personen des sozialen Umfeldes einschließlich betreuender oder behandelnder Institutionen

  2. Medizinische und soziale Abklärung des Einzelfalls
    zur fachgerechten Einleitung von Einzelhilfen

  3. Vorsorgende Hilfen
    mit dem Ziel, bei beginnender Erkrankung oder Wiedererkrankung und bei sich anbahnenden Konfliktsituationen zu gewährleisten, dass die Betroffenen rechtzeitig ärztlich behandelt und im Zusammenwirken mit der Behandlung geeignete betreuende Einrichtungen in Anspruch genommen werden können

  4. Nachgehende Hilfen
    mit dem Ziel, den Personen, die aus stationärer psychiatrischer Behandlung entlassen werden, durch individuelle Betreuung, Beratung und Einleitung geeigneter Maßnahmen die Wiedereingliederung in die Gemeinschaft zu erleichtern sowie eine erneute Krankenhausaufnahme zu verhüten

  5. Sprechstunden
    Psychisch Kranke, Behinderte und andere Ratsuchende sollen jederzeit – zumindest während der Dienststunden – Mitarbeiter vorfinden, die in der Lage sind, weiterzuhelfen. Daher sind Sprechstunden durchgängig einzurichten. Daneben können Sprechstunden für einzelne Personen oder spezielle Patientengruppen verabredet werden.

  6. Aufsuchend-ambulante Tätigkeiten
    Zur Durchführung vorsorgender und nachsorgender Hilfen, als auch zur Krisenintervention oder für notfallpsychiatrische Maßnahmen, sind Hausbesuche erforderlich, um die Situation in der Wohnung und dem näheren sozialen Umfeld persönlich kennenzulernen, ggf. auch, um unmittelbar eingreifen zu können. Nicht wenige psychische Kranke und Behinderte lassen sich überhaupt nur über den Besuch zuhause erreichen, in ein Gespräch ziehen und etwa zur Inanspruchnahme eines behandelnden Arztes oder betreuender Einrichtungen motivieren.

  7. Eingliederung oder Wiedereingliederung in das Arbeitsleben
    Viele psychisch Kranke und Behinderte bedürfen zur Stabilisierung beruflich-rehabilitativer Hilfen z auch um sie möglichst unabhängig von Sozialhilfe zu machen. SpDi müssen daher, wenn entsprechende spezialisierte ambulante oder psychosoziale Dienste fehlen, auf den Einzelfall bezogen mit der Arbeitsverwaltung, den Werkstätten für Behinderte und den Rentenversicherungsträgern zusammenarbeiten.

  8. Notfallpsychiatrische Maßnahmen/Krisenintervention
    Psychiatrische Notfälle und Zuspitzungen kritischer Situationen vor Ort können prinzipiell zu allen Tages- und Nachtzeiten auftreten.

  9. Zusammenarbeit mit allen Diensten und Einrichtungen der Versorgungsregion, die mit der Betreuung und Behandlung psychisch gefährdeter, kranker und behinderter Menschen befasst sind, insbesondere mit den regional zuständigen psychiatrischen Krankenhauseinrichtungen.

  10. Zusätzliche Hilfsangebote in Form von Gruppenangeboten für einzelne Patienten, Gruppen und Angehörige, Initiierung von Laienhelfer- und Angehörigengruppen, Öffentlichkeitsarbeit, Institutionsberatung

Die Leistungen der sozialpsychiatrischen Dienste sind für den Bürger kostenfrei, da dieser in der Regel am Gesundheitsamt in der kommunalen Verwaltung angesiedelt ist. In Bayern, Baden-Württemberg und einzelnen Kommunen anderer Bundesländer sind die Sozialpsychiatrischen Dienste bei Freien Trägern (z.B. Diakonie, Caritas, AWO) angesiedelt. Aber auch hier entstehen keine Kosten für Menschen, die ihn in Anspruch nehmen.

Durch die Einbindung in den Öffentlichen Gesundheitsdienst gibt es auch Kontakte zu anderen Abteilungen des Gesundheitsamtes, wie z.B. den Kinder- und Jugendgesundheitsdienst, Hygiene und Umweltmedizin. Dies ist bei Fragen des Kinderschutzes oder der hygienischen Lebensbedingungen von Vorteil.

In den meisten Gesundheitsämtern übernimmt der sozialpsychiatrische Dienst auch Aufgaben, für die es in einigen großen Gesundheitsämtern einen eigenen kinder- und jugendpsychiatrischen Dienst gibt, soweit dies ohne entsprechendes Fachpersonal möglich ist. In der Regel ist der sozialpsychiatrische Dienst multiprofessionell aus Ärzten, Sozialarbeitern, Psychologen und Verwaltungsangestellten zusammengesetz. Aber auch Krankenpfleger, Ergotherapeuten und ähnliche Berufe können vertreten sein. Bislang eher selten arbeiten sogenannte Genesungsbegleiter mit. Dabei handelt es sich um Menschen mit Psychiatrie-Erfahrung, die eine gezielte Fortbildung mit einem Zertifikat (experienced involvement EX-IN) durchlaufen haben.

Die personenbezogenen Leistungen des sozialpsychiatrischen Dienstes unterscheiden sich in einigen Punkten grundlegend von den Angeboten anderer Leistungserbringer im psychiatrischen Hilfe- und Versorgungssystem:

  • Die Dienstleistungen des sozialpsychiatrischen Dienstes sind für den Bürger kostenfrei

  • Sie erfolgen niedrigschwellig ohne Zugangsvoraussetzungen, auf Wunsch auch anonym

  • Sie werden bei Bedarf aufsuchend erbracht

  • Das Umfeld betroffener Menschen kann mit einbezogen werden

  • Menschen aus dem Umfeld psychisch Kranker können Hilfen in Anspruch nehmen, auch wenn die/der Betroffene dies nicht tut

  • Sie erfolgen häufig in aktiver Kontaktaufnahme nach Hinweisen Dritter

  • Neben dem Angebot von Hilfen erfolgt auch eine Klärung von Gefährdungspotentialen infolge psychischer Erkrankung und bei Bedarf die Ergreifung geeigneter Maßnahmen zur Gefahrenabwehr.

Der Erstkontakt kann nicht nur durch die Betroffenen selbst veranlasst werden, oder durch ihre Angehörigen bzw. rechtlichen Betreuer, Nachbarn, Freunde oder Kollegen, sondern auch durch Arbeitgeber, Vermieter, Behörden (z.B. Polizei, Allgemeiner Sozialer Dienst im Jugend- oder Sozialamt, Arbeitsagentur, Ordnungsamt) oder medizinische Dienste (Hausarzt, Krankenhaus).

Abbildung 16: Ablauf des Erstkontaktes
Abbildung 16: Ablauf des Erstkontaktes

Wie es dann weitergeht, hängt maßgeblich davon ab, ob eine Beratung und im Weiteren ggf. Begleitung geboten ist, oder ob es sich um eine Krise mit entsprechend sofortigem Handlungsbedarf handelt. Das entsprechende weitere Vorgehen ist in den beiden folgenden Kapiteln dargestellt.