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Qualitätskriterien
Um einen ausreichenden Qualitätsstandard für Gutachten sicherzustellen, ist es notwendig Mindestanforderungen festzulegen. Qualitätsstandards dienen dazu, Personen, die vom Gutachten betroffen sind oder Gutachten als Informationsquellen nutzen, einen Maßstab zur Bewertung vorzulegen und tragen zum Schutz vor unsachgemäßen Gutachten bei.
Aufklärung des Probanden
Die zu begutachtende Person muss über den gutachterlichen Auftrag und die darin formulierten Fragen informiert werden. Sie muss darüber aufgeklärt werden, dass das, was in der Untersuchungssituation besprochen und erhoben wurde, dem Auftraggeber mitgeteilt werden muss, somit keine ärztliche Schweigepflicht dem Auftraggeber gegenüber besteht. Eine ärztliche Schweigepflicht besteht allerdings weiterhin für Details der Exploration, die für die Beantwortung der Fragestellung nicht relevant sind.
Zudem muss die zu begutachtende Person über den Untersuchungsablauf, die Aufgaben und Funktion der begutachtenden Person (Sachverständige/r) informiert werden. Die zu begutachtende Person sollte ebenfalls darüber aufgeklärt werden, dass der Auftraggeber und nicht die begutachtende Person die Rechtsentscheidung trifft.
Es ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass die zu begutachtende Person zu Angaben gegenüber der begutachtenden Person und zur Mitarbeit bei der Untersuchung nicht verpflichtet ist. Eine Ausnahme: im Falle der Begutachtung von Beamten (siehe unter Mitwirkungspflichten).
Dem schriftlichen Gutachten sollte ein Hinweis auf die erfolgte Belehrung und Aufklärung vorangestellt werden. In den seltenen Fällen, in denen die zu begutachtende Person erkrankungsbedingt die o. g. Erläuterungen möglicherweise nicht aufnehmen und erfassen kann, sollte mit dem Auftraggeber und ggf. dem Rechtsvertreter der zu begutachtenden Person Rücksprache bzgl. des weiteren Vorgehens gehalten werden.
Aufbau eines Gutachtens
Die ein Gutachten beauftragende Einrichtung möchte spezifische Fragestellungen überschaubar und nachvollziehbar beantwortet und vermittelt bekommen. Dabei spielt ein sachbezogener und logischer Aufbau bei der Entwicklung der Ergebnisfindung eines Gutachtens eine entscheidende Rolle.
Formaler Rahmen
In der Regel sollte bei einem (Freitext-) Gutachten folgendes Formales beachtet werden:
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Seitennummerierung des Gutachtens
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Nennung des Aktenzeichens
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Nennung des Sachverständigen unter Nennung relevanter beruflicher Abschlüsse
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Nennung des Auftraggebers
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Nennung der wörtlichen Fragestellung und der Rechtsgrundlage
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Nennung der eingesetzten Methoden
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Nennung der Untersuchungstermine mit Datum, Ort (ggf. auch Dauer)
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Der Ursprung externer Befunde, bspw. wesentliche Untersuchungsergebnisse. Unterlagen oder Auskünfte dritter Personen sind im Einzelnen darzulegen. Datengrundlage und Interpretation sind zu trennen.
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Nennung von Hilfskräften bei nicht untergeordneter Bedeutung. Für Dritte muss ersichtlich sein, welcher Untersucher bei welchen Teilen des Gutachtens mitgewirkt hat.
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Das Gutachten muss von der beauftragten begutachtenden Sachverständigen persönlich und mit Datum versehen unterschrieben sein.
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Literatur sollte angeführt werden, soweit im Gutachten darauf näher Bezug genommen wird.
Eine formale Gliederung des Gutachtens sollte typischerweise folgende Inhalte wiedergeben:
Grundlagen der Begutachtung
Hier erfolgt die Wiedergabe des Sachverhalts und der Anknüpfungstatsachen auf der Basis der (Akten-)Analyse, sowie einschlägiger medizinischer Vorbefunde.
(Fachliche) Fragestellungen
Aus der (gerichtlichen) Fragestellung werden bei Bedarf medizinische Fragestellungen abgeleitet.
Rahmenbedingungen des Untersuchungsverlaufs
Die Exploration sollte unter Bedingungen durchgeführt werden, bei denen ein diskretes, ungestörtes und konzentriertes Arbeiten möglich ist. Ein wertschätzender Umgang mit der zu begutachtenden Person, ihren Sorgen und möglichen Ängsten sollte selbstverständlich sein.
Insbesondere in der psychiatrischen Begutachtung ist es empfehlenswert, sich seine eigene Rolle in der Begutachtungssituation in Erinnerung zu rufen.
Untersuchungsergebnisse
Die medizinische Begutachtung ist nie Selbstzweck. Ihre Aufgabe ist die Beantwortung der von den Auftraggebern gestellten Beweisfragen, bspw. Gerichten, Ministerien, Versorgungsämtern, Krankenkassen. Dabei gilt immer, dass die eigentliche Rechtsfrage nie von der begutachtenden Person zu beantworten oder zu entscheiden ist (auch wenn es häufig eine Tendenz der auftraggebenden Einrichtung gibt, der begutachtenden Person die Entscheidung und somit die Verantwortung für die Entscheidung zuzuschreiben.) Das Grundprinzip des Gutachtens ist: Die Beantwortung der Fragestellung dient als Beweismittel, mit dessen Hilfe der auftraggebenden Stelle eine Entscheidung erleichtert wird..
Die ärztliche Begutachtung folgt auch in Fällen unterschiedlicher Fragestellung dem Prinzip eines dreistufigen Vorgehens:
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im ersten Schritt erfolgt die Diagnosestellung, in der Regel gemäß ICD-10 oder ggf. DSM-5, im Falle spezieller Gutachten auch anhand der ICF. Zu berücksichtigen ist, ob sich die Diagnosestellung im Rahmen der Fragestellung auf eine retrospektive Diagnosestellung (z. B. Abschluss eines Rechtsgeschäfts), eine zum Zeitpunkt der Begutachtung zu erstellende Diagnose oder eine prospektive Fragestellung (z. B. Betreuungsrecht) bezieht. Die funktionellen Auswirkungen der Diagnose werden in der Regel anhand des ICF, bei psychiatrischen Erkrankungen anhand des “Mini-ICF für psychische Störungen” eingeschätzt. (Ref. S Linden M et al., vgl. S. 31)
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im zweiten Schritt muss die (psychopathologische) Diagnose den jeweiligen rechtlichen Begrifflichkeiten zugeordnet werden. Die Gutachterin oder der Gutachter übersetzt quasi die jeweiligen Befunde und die Diagnose in juristische Begriffe.
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im dritten Schritt hat der Sachverständige die Beweisfragen zu beantworten (wie o. g. unter Beachtung, dass die Wertung und Würdigung durch den Auftraggeber erfolgt). Die Stellung einer Diagnose reicht nicht aus, es müssen die hieraus folgenden Symptome und deren Auswirkungen im psychosozialen Bereich folgen.
Es ist selbstverständlich, dass die begutachtende Person (Sachverständige/r) im Begutachtungsverfahren immer auch Ärztin/Arzt ist. Die ärztliche Grundhaltung der Empathie und des Verstehens erfordert dabei jedoch die eigenen emotionalen Empfindungen und Reaktionen wahrzunehmen und zu reflektieren, d. h. Aspekte der Übertragung und Gegenübertragung zu berücksichtigen. Diese können wertvolle diagnostische Hinweise sein. Außerdem kann die Wahrnehmung und Reflektion von Emotionen und Reaktionen verhindern, dass sich diese auf die gutachterliche Stellungnahme auswirken.