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5. Integrierte Gesundheitsberichterstattung

► Inhaltsverzeichnis Kapitel (ausklappbar)
  1. 5. Integrierte Gesundheitsberichterstattung
    1. 5.1. Gesundheit und soziale Lage
    2. 5.2. Integrierte Berichterstattung
    3. 5.3. Weiterführende Informationen
    4. 5.4. Literaturverzeichnis Kapitel 5. – Integrierte GBE


„Jetzt habe ich mich wochenlang mit verschiedenen Gesundheitsindikatoren auseinandergesetzt und alles in ein passendes Berichtsformat gegossen. Jetzt nochmal Zeit und Ressourcen investieren, um einen kleinen Perspektivwechsel zu ermöglichen? Na, ob sich dieser Mehraufwand wirklich lohnt?“

Vom Anspruch her geht Gesundheitsberichterstattung über eine bloße Beschreibung der gesundheitlichen Lage der Bevölkerung hinaus. Zwar fokussieren Gesundheitsberichte mitunter auch auf bestimmte, eng eingegrenzte Themen, etwa Adipositas bei Kindern, Zuckerkonsum oder die psychische Gesundheit von Beschäftigten, in der Regel bleibt die GBE aber nicht auf solche Einzelthemen beschränkt. Das zentrale Anliegen ist vielmehr, aufzuzeigen, wie gesellschaftliche Verhältnisse Gesundheit beeinflussen. Gesundheit hängt von vielen Faktoren ab: zum einen natürlich vom individuellen Verhalten, zum anderen aber auch von Faktoren, die in der Verantwortung mehrerer Politikbereiche liegen – von der Bildungspolitik über die Arbeitsmarktpolitik bis hin zum Städtebau und der Raumplanung. In Kapitel 2 sind wir hierauf mit dem Regenbogenmodell von Dahlgren und Whitehead auch schon etwas genauer eingegangen. Diese gesellschaftlichen Determinanten von Gesundheit können im Rahmen der Gesundheitsberichterstattung direkt thematisiert und analysiert werden, man spricht dann häufig von integrierter Berichterstattung. Darüber hinaus können aber auch Schnittstellen zu anderen Berichtssystemen, etwa der Sozialberichterstattung, der Pflegeberichterstattung, der Umweltberichterstattung oder auch der Arbeitsberichterstattung, genutzt und ausgestaltet werden.

5.1. Gesundheit und soziale Lage

Die Chance auf ein gesundes Leben ist eng mit sozialstrukturellen Faktoren verbunden, insofern hat die GBE zur Sozialberichterstattung eine Reihe von Berührungspunkten. Gesundheit und Gesundheitsrisiken hängen, neben dem Geschlecht, in erheblichem Maße vom sozialen Status oder, weiter gefasst, von der sozialen Lage ab.

Abbildung 11: Zusammenhänge zwischen sozialer und gesundheitlicher Ungleichheit
Abbildung 11: Zusammenhänge zwischen sozialer und gesundheitlicher Ungleichheit (eigene Darstellung nach Elkeles, Mielck 1997) © Marion Burbulla

Ganz allgemein haben statushöhere Bevölkerungsgruppen mehr materielle Ressourcen und soziales Kapital für eine gesunde Lebensführung, ihre Berufstätigkeit ist gesundheitlich weniger belastend und ihre Wohnsituation inklusive Wohnumfeld ist deutlich besser. Die Unterschiede zwischen der statushöchsten und der statusniedrigsten Bevölkerungsgruppe hinsichtlich Morbidität und mittlerer Lebenserwartung sind daher beträchtlich.

Dieser soziale Gradient zeigt sich bereits in den frühesten Lebensphasen, was unter anderem auf Datenbasis der Schuleingangsuntersuchungen belegt werden kann. Abbildung 11 veranschaulicht, wie eng soziale und gesundheitliche Ungleichheit miteinander einhergehen und über welche (hier nur exemplarisch dargestellten) komplexen Wirkungspfade sich auch Ungleichheit von Krankheit und Tod manifestieren kann (Elkeles, Mielck 1997).

5.2. Integrierte Berichterstattung

Eine integrierte (Gesundheits-)Berichterstattung bietet die Möglichkeit, die oben skizzierte Abhängigkeit der Gesundheitschancen von Faktoren, die letztendlich nicht nur mit gesundheitlicher, sondern insbesondere auch mit sozialer Ungleichheit zu tun haben (wozu unter anderem auch die Wohnlage zählt), abzubilden und auf diese Weise die Ergebnisse eines Gesundheitsberichts angemessen einzuordnen. So hat es beispielsweise wenig Sinn, die Unterschiede in der mittleren Lebenserwartung innerhalb einer Stadt darzustellen, ohne dabei auch auf die Sozialstruktur der einzelnen städtischen Quartiere und die dort herrschenden Lebensbedingungen einzugehen.

In integrierten Berichten, die im Idealfall gemeinsam von verschiedenen Ämtern bzw. Ressorts geschrieben werden, werden neben gängigen Gesundheitsdaten auch Informationen genutzt, die die Lebenssituation der Menschen abbilden. Hierzu kann eine Vielzahl an Daten zusammengetragen und erhoben werden. Diese Arbeit kann mühsam und zeitaufwendig sein, sich aber auch als lohnend herausstellen, da im Rahmen der sektorübergreifenden Zusammenarbeit Handlungsempfehlungen auf der Verhältnisebene abgeleitet werden können (Näheres hierzu auch in Kapitel 2). Ein hilfreiches Praxistool bietet das niedersächsische Tool Kontextcheck Kommunale Gesundheitsförderung und Prävention strategisch gestalten, welches einen Leitfaden und entsprechende Handlungshilfen beinhaltet. Als weiteres Praxisinstrument zur partizipativen Datenerhebung, Bewertung und Bedürfnisermittlung sei auf den StadtRaumMonitor verwiesen, der von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, dem Landeszentrum Gesundheit NRW und dem Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg auf Grundlage des schottischen Place Standard Tool für Deutschland entwickelt wurde.

Da viele Gesundheitsdaten, etwa die Todesursachenstatistik, keine Informationen zur sozialen Lage enthalten, ist es jedoch oftmals schwierig, im Rahmen der GBE oder integrierter Berichterstattungen sozial bedingte gesundheitliche Ungleichheit darzustellen. In solchen Fällen bieten sich beispielsweise raumbezogene Auswertungen an, bei denen auf der räumlichen Ebene Gesundheitsdaten mit Sozialindizes (zum Beispiel Böhm 2007) oder Deprivationsindizes (zum Beispiel Kroll et al. 2017) verknüpft werden. Diese Indizes sind sogenannte Proxy-Variablen, die die Sozialstruktur der Bevölkerung in räumlichen Einheiten abbilden, die der Analyse zugrunde liegen. Bei diesem Ansatz besteht allerdings prinzipiell die Gefahr eines ökologischen Fehlschlusses. Ein ökologischer Fehlschluss liegt vor, wenn von Zusammenhängen, die auf der Kollektivebene beobachtbar sind, fälschlicherweise auf die Individualebene geschlossen wird. So bedeutet Durkheims Beobachtung, dass in Ländern und Regionen mit hohen Anteilen an Protestanten in der Bevölkerung die Suizidrate besonders hoch ist, aus dem soziologischen Klassiker „Der Selbstmord“ (1983) nicht zwingend, dass Protestanten häufiger Selbstmord begehen. Eine Auswertung auf der Ebene von Individualdatensätzen könnte nämlich auch zeigen, dass Suizide nicht mit der Konfession zusammenhängen, sondern auf andere Faktoren zurückgehen, wie zum Beispiel Lebenskrisen. Diese Analyse könnte sogar ergeben, dass es hauptsächlich Katholiken und nicht Protestanten sind, die Selbstmord verüben. Korrelationen, die auf der Grundlage von Aggregatkennziffern (Durchschnittswerte oder Anteile) berechnet wurden, sollten daher zurückhaltend interpretiert werden.

Der German Index of socio-economic Deprivation ist ein Beispiel für einen Deprivationsindex, in dem Indikatoren zu Bildung, Arbeit und Einkommen zusammengeführt werden (Kroll et al. 2017). Dieser Index liegt bis auf Städte- und Gemeindeebene vor (Link). Für die kommunale Gesundheitsberichterstattung besteht die Möglichkeit, auf eigene Sozialindikatorensets oder selbst entwickelte Sozialindizes zurückzugreifen, sofern die Kommune eine gewisse Größe aufweist. Insofern sind sozialräumliche Analysen von Gesundheitsdaten nur für größere Städte eine realistische Option.

Um innerhalb der Kommune Mehrfachbelastungen oder Vulnerabilitäten innerhalb von Räumen darzustellen, können darüber hinaus eigene Indizes gebildet werden. Vielfach werden in diesem Rahmen Daten verschiedener Ressorts zusammengeführt, beispielsweise Soziales, Gesundheit, Bildung, Integration, Umwelt oder Wirtschaft. Dabei können schnell umfangreiche Indikatorensammlungen entstehen. Neben einer detaillierten Analyse kann es hilfreich sein, zusammenfassende Indizes zu bilden. Entsprechende Arbeitshilfen können einen ersten Einblick in die Thematik liefern (Stegmann 2020).

Eine weitere Herausforderung bei der Darstellung sozial bedingter gesundheitlicher Ungleichheit im Rahmen der integrierten Berichterstattung stellen die oftmals unterschiedlichen Datenaggregationsebenen der verschiedenen Ressorts dar. So verfügt die Sozialberichterstattung oft über sehr kleinräumige Informationen, was ein Verschneiden mit geeigneten Gesundheitsinformationen erschweren kann. Hier gilt es, Konzepte zu entwickeln, in denen sich Daten auf unterschiedlichen räumlichen Ebenen sinnvoll ergänzen. Eine Lösung dieses Problems kann beispielsweise darin bestehen, Sozialdaten und Daten aus weiteren Ressorts kleinräumig auszuwerten, um besonders belastete Sozialräume zu identifizieren. Da Zusammenhänge zur gesundheitlichen Lage aus epidemiologischen Studien hinreichend nachgewiesen sind, kann der Bedarf für Gesundheitsförderungsmaßnahmen daraus abgeleitet werden. Darüber hinaus können Gesundheitsdaten auf der Ebene eines Verwaltungsbezirks (Kreis oder kreisfreie Stadt) Hinweise auf besondere gesundheitliche Belastungen in dem jeweiligen Kreis/der kreisfreien Stadt liefern (Rosenkötter et al. 2020).

5.3. Weiterführende Informationen

  • Borrmann, B; Rosenkötter, N (2016): Integrierte Berichterstattung für ressortübergreifende kommunale Gesundheitspolitik. In: Public Health Forum 24 (4), S. 272–274. DOI: 10.1515/pubhef-2016-2095.

  • Galante-Gottschalk, A; Pott, S; Fischer, C; Erb, J; Ohm, H; Reichhardt G; Ehehalt, S; Spatz, S; Tropp, H (2016): Integrierte Gesundheits- und Sozialberichterstattung. Das Sozialmonitoring der Landeshauptstadt Stuttgart. In: Das Gesundheitswesen 78 (04). DOI: 10.1055/s-0036-1578958.

  • Landesinstitut für den Öffentlichen Gesundheitsdienst des Landes Nordrhein-Westfalen (lögd) (Hg.) (2004): Integrierte Basis-Berichterstattung für gesündere Städte und Kommunen. Quellen, Auswahlprozess und Profile für einen Indikatorensatz. Bielefeld: lögd (Wissenschaftliche Reihe, 17).

  • MAGS: Integrierte Berichterstattung und Planung Erfolgsfaktoren Hürden und gute Argumente. Online verfügbar unter https://www.umwelt-und-gesundheit.nrw.de/fileadmin/redaktion/PDF-Dateien/Veroeffentlichung_Integrierte_Berichterstattung_und_Planung.pdf, zuletzt geprüft am 15.08.2023.

  • Süß, W; Schäfer, I; Trojan, A (Hg.) (2007): Integrierte (Gesundheits-) Berichte. Konzeptionelle Überlegungen und Umsetzungserfahrungen. 1. Auflage. Aachen: Shaker Verlag (Berichte aus der Medizin.

5.4. Literaturverzeichnis Kapitel 5. – Integrierte GBE

  • Böhm, A (2007): Der Brandenburger Sozialindex: ein Werkzeug für die Gesundheits- und Sozialberichterstattung auf Landes- und kommunaler Ebene. In: Gesundheitswesen 69 (03). DOI: 10.1055/s-2007-982846.

  • Durkheim, É (1983): Der Selbstmord. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

  • Elkeles, T; Mielck, A (1997): Ansätze zur Erklärung und Verringerung gesundheitlicher Ungleichheit. In: Jahrbuch für kritische Medizin (26), S. 23–44.

  • Kroll, L E; Schumann, m; Hoebel, J; Lampert, T (2017): Regional health differences – developing a socioeconomic deprivation index for Germany. In: Journal of Health Monitoring 2 (2), 98–114. DOI: 10.17886/RKI-GBE-2017-048.

  • Rosenkötter, N; Borrmann, B; Arnold, L; Böhm, A (2020): Gesundheitsberichterstattung in Ländern und Kommunen: Public Health an der Basis. In: Bundesgesundheitsbl. (Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz) 63, S. 1067–1075. DOI: 10.1007/s00103-020-03190-z.

  • Stegmann, T (2020): Lebenslagen in Sozialräumen auf einen Blick: Indizes in der kommunalen Berichterstattung. Arbeitshilfe für Kommunen und Träger. Hg. v. G.I.B. – Gesellschaft für innovative Beschäftigungsförderung mbH. Bottrop.