► Inhaltsverzeichnis Kapitel (ausklappbar)
Befähigung zum Führen von Waffen
Der Waffenbesitz und das Führen einer Waffe sind aufgrund gesetzlicher Grundlagen an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. Grundsätzlich werden zwei Bereichen unterschieden:
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der Waffenbesitz
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die Berechtigung, eine Waffe auch außerhalb der eigenen vier Wände mit sich zu führen.
Dabei definiert das Waffengesetz (WaffG) “Führen” als Ausüben der tatsächlichen Gewalt über Waffen außerhalb des umfriedeten Besitzes. Zum Führen müssen Jäger einen Jagdschein machen, andere Personen benötigen einen Waffenschein.
Personen die einen Waffenschein beantragen müssen besondere Voraussetzungen erfüllen, wie die erforderliche Zuverlässigkeit und persönliche Eignung nach §§ 5 und 6 WaffG in Verbindung mit §4 Allgemeinen Waffengesetz-Verordnung (AwaffV).
Wenn begründete Zweifel daran bestehen kann die zuständige Behörde die Vorlage eines amts- oder fachärztlichen oder fachpsychologischen Gutachtens anordnen.
Das Führen einer Waffe ist genehmigungsfrei, wenn die Waffe ungeladen, nicht zugriffsbereit und der Transport dem “bedürfnisumfassten Zweck” dient.
Gesetzliche Grundlagen:
Durchführung des Bundesjagdgesetzes (BJagdG), Waffengesetzes (WaffG) und der allgemeinen Waffengesetz-Verordnung (AwaffV) in den jeweils gültigen Fassungen.
Eine Erlaubnis zum Führen einer Waffe kann versagt werden, wenn der Antragsteller nicht die persönliche Zuverlässigkeit und persönliche Eignung besitzt (§4,1 WaffG).
Die persönliche Eignung (§ 6 WaffG, § 2 AWaffV) besitzen Personen nicht, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie
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geschäftsunfähig oder in seiner Geschäftsfähigkeit beschränkt ist/ sind,
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abhängig von Alkohol oder anderen berauschenden Mitteln, psychisch krank oder debil sind oder
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auf Grund in der Person liegender Umstände mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren können oder dass die konkrete Gefahr einer Selbst- oder Fremdgefährdung besteht.
Personen, die noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben, haben für die erstmalige Erteilung einer Erlaubnis zum Erwerb und Besitz einer Schusswaffe auf eigene Kosten ein amts- oder fachärztliches oder fachpsychologisches Zeugnis über die geistige Eignung vorzulegen. (WaffG, § 6 (3))
Beauftragung des Gutachtens
In den zuständigen Gesetzen (WaffG, AWaffV) ist die Möglichkeit eines amts- oder fachärztlichen oder fachpsychologischen Gutachtens eröffnet, doch wird bei beteiligten Personen, die bereits Auffälligkeiten in der Vorgeschichte zeigten in der Regel gerne eine (psychiatrische) amtsärztliche Expertise bevorzugt.
In den unter persönliche Eignung (§ 6 WaffG, § 2 AWaffV) genannten Fällen teilt die für die Erteilung von waffenrechtlichen Erlaubnissen zuständige Behörde (z.B. Waffenbehörde im Ordnungsamt) dem Betroffenen unter Darlegung der Gründe für die Zweifel oder der die Bedenken begründenden Tatsachen hinsichtlich seiner persönlichen Eignung mit, dass er sich innerhalb einer bestimmten Frist auf seine Kosten der Untersuchung zu unterziehen und ein Gutachten beizubringen hat.
Zur Durchführung der Untersuchung versendet die zuständige Behörde auf Verlangen der begutachtenden Person und bei Vorliegen der Einwilligung des Betroffenen die der Behörde zur Begutachtung erforderlichen vorliegenden Unterlagen. Die begutachtende Person ist verpflichtet, sich mit der Erstattung des Gutachtens von den Unterlagen zu entlasten, indem er sie der zuständigen Behörde übergibt oder vernichtet.
Nach Abschnitt 2 § 4 der Allgemeinen Waffengesetz-Verordnung hat sich die begutachtende Person über den Betroffenen einen persönlichen Eindruck zu verschaffen. Ein Gutachten nach Aktenlage ist nicht ausreichend! Das Gutachten muss darüber Auskunft geben, ob die betroffene Person gesundheitlich geeignet ist, mit Waffen und Munition umzugehen.
SieIm Zusammenhang der gutacherlichen Beurteilung sind auch Probenahmen zum Nachweis von Alkohol- oder Drogen/ Medikamentenabbau-Produkten oder anderer Parameter aus Vollblut, Serum, Urin oder Haaren (wie beispielsweise CDT- Wert, Ethylglucuronid, Opiatabkömmlinge, Gerinnungsstatus, Leberwerte oder Blutzucker) möglich.
Besondere Fragestellungen
In Fragen nach einer bestehenden Suchterkrankung ist in diesem Zusammenhang die Forderung des Nachweises einer Abstinenzfähigkeit möglich. Dazu kann der/die Proband/in, die neu oder auch weiterhin eine Waffe führen und benutzen möchte, zur Erbringung eines Abstinenznachweises aufgefordert werden. Abstinenznachweise können über einen definierten Zeitraum, z.B. über ca. 2 zurückliegende Wochen durch kohlenhydratdefizientes Transferrin- Werte im Blut (Carbohydrate-Deficient Transferrin, CDT) oder über 3 zurückliegende Monate durch Ethylglucuronid (ETG) im Haar den Nachweis erbringen, dass die beteiligte Person abstinenzfähig ist.
Die Frage nach persönlicher Eignung taucht auch bei Betroffenen mit schweren Depressionen und fraglicher Suizidalität auf. Sie stellt sich auch bei Menschen, die an unheilbaren Krankheiten leiden und depressiv sind und/oder Todeswünsche äußern. Auch bei Menschen mit einer ausgeprägten Störung der Impulskontrolle kann eine Eignung zum Führen von Waffen ausgeschlossen sein. Das Gleiche gilt für Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis, Psychosen und manischen Erkrankungen, die mit situativen Verkennungen und wahnhaften Symptomen einhergehen und somit zu einem unsachgemäßen Umgang mit Waffen und einer Eigen- oder Fremdgefährdung führen können.
Relevant sind hier die “in der Person liegenden Umstände” aus §6 WaffG. Hierfür ist tatsächlich die individuelle Exploration notwendig und nicht allein das Aktenstudium ausreichend.
Zur „geistigen Eignung“ und zur „Fallgruppe Suchtmittelmissbrauch“ sei hier insbesondere auch auf die Kommentierung von Lehmann/ v.Grotuss, Aktuelles Waffenrecht verwiesen ( Breckwoldt, von Grotthuss, and Soens 2019).
Körperliche Störungen/Krankheiten/Beeinträchtigungen können dem Führen einer Waffe entgegenstehen. Hierzu können u.a. neurologische Beeinträchtigungen (z.B. Tremor, Anfallsleiden), Herzrhythmusstörungen oder schwere Stoffwechselentgleisungen gezählt werden.
Jagdwaffen & Schießsport
Zum Führen von Waffen in der Jagd und im Schießsport ergeben sich aus weiteren Gesetzen und Verordnungen besondere Regeln.
Nach §§15,1 und 17,2 des Bundesjagdgesetzes erstreckt sich die Jagdausübung auf das Aufsuchen, Nachstellen, Erlegen und Fangen von Wild.
Die zur Jagdausübung erforderliche Eignung fehlt, wenn körperliche oder geistige Mängel vorhanden sind. Personen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie die erforderliche Zuverlässigkeit oder körperliche Eignung nicht besitzen, ist der Jagdschein zu versagen.
Da das Merkmal “körperliche Eignung” ein sogenannter unbestimmter Rechtsbegriff ist, der einer Behörde keinen Beurteilungsspielraum lässt, muss sie den Bewerber als “geeignet” oder “ungeeignet” befinden.
Dabei ist nicht die Art des Mangels oder der Mängel entscheidend. Hier kommen vor allem in Betracht “physische oder psycho-physisch bedingte Fälle des Versagens oder Fehlleistungen der Denkfähigkeit, der Sinnesorgane oder erworbene Krüppelhaftigkeit, Alter, Krankheit, Nervosität” (Schuck 2019). Daraus folgt das Ergebnis einer “irgendwie gefährlichen Jagduntauglichkeit, insbesondere Treffunsicherheit, mag diese auch nur bedingt oder teilweise sein”. Siehe dazu auch entsprechende Bestimmungen, die Körperbehinderten die Ausübung der Jagd ermöglichen ( Lorz, Metz, and Stöckel 2011).
Eine körperliche Behinderung mit Rollstuhlpflicht steht der Fähigkeit zum Führen einer Jagdwaffe nicht per se entgegen, denn:
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Das Grundgesetz (GG) Artikel 3 besagt, dass niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf.
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Beispielsweise die schleswig-holsteinische Landesverordnung über die Prüfung zum Erwerb des ersten Jagdscheines ( (JägerprüfungsVO), §6 besagt, dass der Prüfungsausschuss Schwerbehinderten die Verwendung von Hilfsmitteln gestatten kann, wenn dadurch die Sicherheit der Waffenführung nicht beeinträchtigt wird und diese Hilfsmittel auch im praktischen Jagdbetrieb angewendet werden können.
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In der Jagd und im Schießsport werden Querschnittsgelähmte grundsätzlich als „schießtauglich“ angesehen, sofern im Rahmen eines Sachverständigengutachtens bestätigt werden kann, dass der/die Betroffene in der Lage ist, vom Rollstuhl aus oder aus anderen geeigneten Sitzgelegenheiten mit Kugel oder Schrot schießen zu können, ohne sich oder andere zu gefährden. Das heißt z.B., dass die Muskulatur der Arme und des Schultergürtels so ausgebildet sind, dass er/ sie den Rumpf vollständig aufrichten und stabil sitzen kann.
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Die Jagdbehörde kann rollstuhlpflichtigen Menschen einen Jagdschein unter der Auflage erteilen, dass die Jagd nur in Begleitung eines anderen Jagdscheininhabers ausgeübt werden darf, um auf diese Weise die behinderungsbedingten Defizite auszugleichen (Verwaltungsgericht Freiburg vom 10.08.1995 AZ 5K 17 78/92). Ein solches Defizit wäre beispielsweise die Unfähigkeit, ein angeschossenes geflüchtetes Wild aufzuspüren und waidgerecht zu töten.
Bei Vorhandensein einer Schwerbehinderung mit bestimmten Merkzeichen wie “H” (H-Hilflosigkeit) und/oder “B” (B-Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson) sollte immer im Rahmen der Einzelfallprüfung seitens der begutachtenden Person bedacht und diskutiert werden, ob hier eine Tauglichkeit zum Führen einer Waffe tatsächlich noch gegeben ist. Hier wäre zu eruieren, welche Art der Hilflosigkeit (“H”) vorliegt oder warum das Merkzeichen “B” zuerkannt wurde.
Ein medikamentös gut eingestellter Diabetes mellitus ist in der Regel kein Grund zur Versagung des Jagdscheins.
Mangelnde Zuverlässigkeit oder Eignung hingegen ist ein Werturteil, das immer eine Gesamtbeurteilung der Persönlichkeit voraussetzt. Sie muss nicht mit einer früheren Ausübung der Jagd zusammenhängen (siehe BadVGH JW 1935, 2168: Rauschgiftschmuggel; VG München AZ: M75 165690 vom 22.6.2017), sondern kann auf einer bestimmten Persönlichkeitsprägung beruhen, die eine strafbare Verletzung von Menschen durch Jagdwaffen befürchten lässt (siehe BayVHG, Beschluss vom 21.12.1995BayVBI. 1996,310,311).
Wird an Fehlverhalten angeknüpft, müssen auch Umstände einer Neuorientierung oder Bewährung Berücksichtigung finden.
Teilkapitalisierung (Kapitalabfindung)
Nach Eintritt oder Versetzung in den Ruhestand aus einem Berufssoldatenverhältnis mit der Bundeswehr steht den Soldatinnen und Soldaten ein Ruhegehalt nach den Bestimmungen des Soldatenversorgungsgesetzes (SVG) sowie zusätzlich noch die Gewährung einer Kapitalabfindung zu. Kapitalabfindung heißt, das eine eigentlich laufend zugesagte Leistung durch eine Einmalzahlung ersetzt wird. Dies geschieht meist dann, wenn Versorgungsbezüge nur in monatlich geringer Höhe zu erwarten sind.
Rechtsgrundlage
Nach §27-35 Soldatenversorgungsgesetz können Berufssoldaten/innen und Berufssoldaten im Ruhestand bis zur Vollendung des 57. Lebensjahres, sich einen Teil des Ruhegehaltes zur Durchführung bestimmter Vorhaben als Kapitalabfindung auszahlen zu lassen. Die Kapitalabfindung wird aber nicht gewährt, wenn nach dem Eintritt in den Ruhestand eine weitere Verwendung im öffentlichen Dienst besteht.
Werden Berufssoldatinnen oder Berufssoldaten aus dienstlichen Gründen über die besondere Altersgrenze hinaus im Dienst belassen, kann unter bestimmten Voraussetzungen auch nach Vollendung des 57. Lebensjahres eine beantragte Kapitalabfindung bewilligt werden. Entsprechendes gilt, wenn aus vergleichbaren Gründen die Nichtgewährung eine besondere Härte darstellen würde.
Die Vorhaben, für die die Kapitalabfindung gewährt wird, sind im Gesetz genau bestimmt:
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zur Schaffung oder Verbesserung einer Existenzgrundlage
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zum Erwerb oder zur wirtschaftlichen Stärkung eigenen Grundbesitzes
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zum Erwerb grundstücksgleicher Rechte
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zur Beschaffung einer Wohnstätte
Hierbei wird die Beschaffung von Wohneigentum nur bei dessen Eigennutzung gefördert.
Der Höchstbetrag der Kapitalabfindung beträgt 24.550 €, wovon 9/10 (= 22.095 €) zur Auszahlung gelangen. Es geht also um eine große Summe Geldes - sowohl für den ehemaligen Bundeswehrangehörigen, als auch für die Bundeswehr selbst. Wenn zum Beispiel der Höchstbetrag in Anspruch genommen wird, werden dem der Bundeswehr-Angehörigen zehn Jahre lang monatlich 204,58 € der Versorgungsbezüge einbehalten, somit das verauslagte Geld indirekt “zurückgeholt”. Die Kapitalabfindung wird nur gewährt, wenn die Verwendung des Geldes nach den Bestimmungen gewährleistet erscheint. Der Antrag auf Bewilligung einer Kapitalabfindung muss bei der zuständigen Wehrbereichsverwaltung gestellt werden.
Bei Entlassung eines Bundeswehrangehörigen aus dem aktiven Dienst findet die Abschlussuntersuchung in der Bundeswehr selbst durch Bundeswehr-Ärztinnen oder-Ärzte statt.
Die Begutachtung wegen Teilkapitalisierung erfolgt analog §48ff Bundesbeamtengesetz durch eine Amtsärztin, einen Amtsarzt oder entsprechend eine/n zugelassene/n Gutachter/in.
Die Richtlinie Nr.4 zu den §§28-35SVG in der Fassung vom 10.Mai 1973 (Bundesanzeiger Nr.121 vom 04.Juni 1973) macht die Bewilligung einer Kapitalabfindung allerdings von der Vorlage eines amtsärztlichen Gesundheitszeugnisses abhängig
Der “Teilkapitalisierung” wird nur dann zugestimmt, wenn das amtsärztliche Gutachten besagt, dass prognostisch davon auszugehen ist, dass die/der ehemalige Bundeswehrangehörige nicht in den nächsten 10 Jahren vorzeitig stirbt oder erwerbsunfähig wird.
Im Wortlaut wird gefragt,
“ob zum Zeitpunkt der Überprüfung des Gesundheitszustandes des Antragstellers gesundheitliche Anhaltspunkte erkennbar sind, die den Wegfall der Versorgungsbezüge während des Abfindungszeitraumes von 10 Jahren wahrscheinlich machen.”
Die Kosten der Untersuchung hat die/der zu Untersuchende selbst zu tragen.
Prozedere
Aufgrund der Fragestellung gilt es für die beauftragte begutachtende Person, im Gutachten bestimmte Risiken auszuschließen.
Zu den festzustellenden und hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Gesundheitsprognose zu bewertenden Risiken gehört/gehören zum Beispiel
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chronische Vorerkrankungen
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ernsthafte akut aufgetretene Krankheiten, die eine langwierige Behandlung nach sich ziehen könnten
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Adipositas
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starker Nikotinkonsum
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vermehrter Alkoholkonsum
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arterieller Hypertonus
Einfache orthopädische Probleme wie beispielsweise ein operabler Meniskusschaden stehen einer Teilkapitalisierung nicht entgegen. Anders verhält es sich bei komplexeren Krankheitsbildern.
Deshalb ist eine gute Anamnese sinnvoll, die unter anderem die Frage beinhalten sollte, ob die Entlassung aus der Bundeswehr regelrecht erfolgte oder aber aus Krankheitsgründen. Es sollte nach sportlichen Aktivitäten, Hobbys und der Einbindung ins gesellschaftliche Leben gefragt werden.
Vorbefunde über vorangehende Krankheiten sind ggf anzufordern.
Eine umfängliche Untersuchung (siehe hierzu die allgemeinen Ausführungen zu amtsärztlichen Untersuchungen) ist durchzuführen.
Vorgeschlagener Beispiel-Text für die Beurteilung
Zum Zeitpunkt der Überprüfung des Gesundheitszustandes der antragstellenden Person waren keine gesundheitlichen Anhaltspunkte erkennbar, die den Wegfall der Versorgungsbezüge während des Abfindungszeitraumes (10 Jahre) wahrscheinlich machen (zusammenfassende Äußerung zu den Gutachtenfragen und zur Belastbarkeit; Wertung aller Besonderheiten, die sich aus Vorgeschichte, Untersuchung im Gesundheitsamt und ggf. ergänzenden Befunden unter Berücksichtigung etwaiger vom Auftraggeber bezeichneter Anforderungen ergeben).
Die der Beurteilung zugrunde liegenden Unterlagen und Befunde verbleiben im Gesundheitsamt.
Prüfungen
Prüfungsunfähigkeit in der amtsärztlichen Begutachtung
Versäumt ein Prüfling eine wichtige Prüfung wegen Krankheit, kann die prüfende Einrichtung eine ärztliche Begutachtung verlangen, die Gründe, bzw. Symptome auflistet, die zur Prüfungsunfähigkeit geführt haben. Dabei sollten konkrete Gründe der Beeinträchtigung so dargestellt werden, dass diese auch für Nichtmediziner nachvollziehbar sind.
Allerdings kann nur der Prüfungsausschuss oder eine ähnliche Institution eine “krankheitsbedingte Prüfungsunfähigkeit” - d.h. wenn die zu prüfende Leistungsfähigkeit des Prüflings durch eine Gesundheitsstörung erheblich beeinträchtigt oder gemindert ist - aufgrund der vorgelegten (amts-)ärztlichen Bescheinigung bestätigen.
Rechtsgrundlage
Bei den Begutachtungen zur Prüfungsunfähigkeit kann es sich um amtsärztliche Gutachten handeln wenn eine entsprechende Rechtsgrundlage zur Erstellung des Gutachtens vorhanden ist. Rechtsgrundlagen können beispielsweise Prüfungsordnungen für Staatsexamina von Universitäten, Hochschulen oder anderen Institution sein. Bei Zweifeln an der rechtlichen Grundlage wird der Prüfling ersucht, die entsprechende Prüfungsordnung vorzulegen.
Wenn per Rechtsgrundlage die örtliche Zuständigkeit nach dem “Wohnortprinzip” gilt, können Prüflinge nur in dem Gesundheitsamt begutachtet werden in dem sie ihren Wohnsitz haben. Eine Ausnahme kann nur gemacht werden, wenn der Verweis an das zuständige Gesundheitsamt für den Prüfling nicht zumutbar ist. Dieses ist bei den umliegenden, d.h. Stadt oder Landkreis angrenzenden, Gesundheitsämtern regelmäßig nicht der Fall.
Folgende Angaben sind Bestandteile eines Gutachtens zur Prüfungsunfähigkeit:
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Name des Prüfling
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Datum der Untersuchung
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Prüfungsfach, Studienfach
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Art der Prüfung: schriftlich, mündlich, praktisch
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Datum und Dauer der Prüfung
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Art der vorgelegten auswärtig erstellten und einbezogenen ärztlichen Unterlagen
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Angaben zur prüfungsrelevanten Krankengeschichte
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Untersuchungsbefund
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Diagnose (in Einzelfällen, v.a. wenn psychiatrische Diagnosen als beschämend empfunden werden, können diese mit Symptomen funktionell umschrieben werden)
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Zusammenfassende Beurteilung, mit Aussage ob der Proband psychisch und physisch dazu in der Lage ist, den Belastungen der Prüfung stand zu halten
Zeitpunkt der Begutachtung
Die Untersuchung findet grundsätzlich am Prüfungstag statt, da an diesem Tag die Begutachtung mit der größten Beurteilungssicherheit erfolgen kann. Nur bei Erkrankungen mit einer hohen prognostischen Sicherheit kann im Ausnahmefall eine Begutachtung früher erfolgen, z.B. distale Unterarmfraktur rechtsseitig bei Rechtshändigkeit eine Woche vor der Prüfung.
Die Entscheidung darüber, wann die Begutachtung durchgeführt wird, trifft der zuständige Gutachter.
Prüfungsunfähigkeit bei Prüfungen, die auf einem Samstag liegen, können am Freitag vorher begutachtet werden, falls sinnvoll. Ansonsten ist der nächste Werktag anzustreben.
Begutachtungsablauf
Wenn sich der Prüfling telefonisch vorab informiert, sollte ihm folgendes mitgeteilt werden:
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Begutachtung erfolgt nach Terminvergabe in der Regel am Prüfungstag
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Mitzubringen sind:
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Alle Untersuchungsbefunde einschließlich Röntgenaufnahmen der behandelnden Ärzte und Kliniken zur geltend gemachten Erkrankung
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Gültige Personalpapiere
- ggf. Auszug aus der Prüfungsordnung, aus dem hervorgeht, dass ein amtsärztliches Gutachten erforderlich ist.
Wenn sich der Prüfling ohne telefonische Vorinformation persönlich am Prüfungstag anmeldet, müssen oben genannte Unterlagen ggf. nachgereicht werden.
3. Je nach Fachlichkeit wird der Prüfling von einem/r amtsärztlich Gutachter/in (z.B. Psychiater/in, Chirurg/in) begutachtet.
Mit Einverständniserklärung des Prüflings wird ein spezifischer Anamnesebogen zum aktuellen Krankheitsgeschehen ausgegeben, der Fragen zum aktuellen Krankheitsgeschehen und, wie es die aktuelle Prüfungssituation beeinflusst, enthält. Danach erfolgt die ärztliche Untersuchung. Bei der Anamneseerhebung muss geklärt werden, um welche Art Prüfung es sich handelt (mündlich, schriftlich, praktisch und die Länge der Prüfung).
Eine symptombezogene körperliche Untersuchung kann ausreichend sein. Die Entscheidung hierüber fällt die/der Gutachter/in.
Nach der Untersuchung wird, wenn möglich, das Ergebnis dem Prüfling mitgeteilt, wobei eine Information darüber erfolgen soll, dass die eigentliche Prüfungsunfähigkeit (Rechtsbegriff) vom Prüfungsamt festgestellt wird.
Mit dem Probanden wird ein Termin zur Abholung des Gutachtens vereinbart, das sehr zeitnah erstellt werden sollte.
Retrospektive Feststellung der Prüfungsunfähigkeit
Eine retrospektive Feststellung der Prüfungsunfähigkeit ist umso schwieriger, je länger der Prüfungszeitpunkt bereits vergangen ist.
Sie ist nur möglich, wenn anhand eindeutiger ärztlicher Untersuchungsbefunde vom Prüfungstag (Krankenhausberichte, Arztbriefe u.ä.) die Prüfungsunfähigkeit im Nachhinein noch beweisbar ist.
Nachträglich ausgestellte ärztliche Atteste reichen im Allgemeinen nicht aus, die Prüfungsunfähigkeit im Nachhinein zu bestätigen. Ist eine Prüfungsunfähigkeit nicht mehr mit Sicherheit festzustellen, so formuliert der Gutachter das auch so im Gutachten.
Prüfungenderen Abbruch zu einer Gutachtenanfrage führen sind u.a. Staatsexamen, Diplomprüfungen, Master- und Bachelorprüfungen, Prüfungen in Verwaltungsbeamten-Ausbildungsgänge und Nachteilsausgleich.
Nachteilsausgleich
Der «Nachteilsausgleich» umfasst individuelle Maßnahmen, die Benachteiligungen von Lernenden mit Behinderung vermeiden oder verringern sollen. Dabei handelt sich um formelle Anpassungen der Lern- und Prüfungsbedingungen ohne Modifikation der Lern-, bzw. Ausbildungsziele.
Massnahmen für Nachteilsausgleich können auf allen Bildungsstufen zur Anwendung kommen. Alle Personen mit einer Behinderung haben Anrecht auf Nachteilsausgleich. Bedarf wird durch ein amtsärztliches Attest belegt.
Rechtsgrundlage
Die Rechtsgrundlagen für den Nachteilsausgleich finden sich in den einschlägigen Prüfungsordnungen.
Es handelt sich um amtsärztliche Gutachten, bei denen in der Regel Zuständigkeit nach Wohnortprinzip gilt.
Eine Ausnahme kann nur gemacht werden, wenn der Verweis an das zuständige Gesundheitsamt für den Prüfling nicht zumutbar ist. Dieses ist bei den umliegenden Gesundheitsämtern regelmäßig nicht der Fall.
Bestehen Zweifel an der Zuständigkeit des Gesundheitsamtes bei der Feststellung des Nachteilsausgleichs, so wird der Prüfling gebeten die Rechtsgrundlage vorzulegen, aus der die Zuständigkeit hervorgeht. Ein Schreiben der Universität oder eines Prüfungsamtes allein, dass ein amtsärztliches Gutachten erforderlich ist, reicht nicht aus.
Ein Nachteilsausgleich kann in Form zusätzlicher Pausen, einer Schreibzeitverlängerung, des Diktierens der schriftlichen Prüfung oder in Ausnahmefällen des Ablegens der schriftlichen Prüfung am Computer erfolgen. Die Entscheidung über die Gewährung eines Nachteilsausgleichs trifft das Prüfungsamt auf der Grundlage des vorgelegten Gutachtens.
Ein Nachteilsausgleich gleicht in aller Regel Folgen und dadurch entstehende Nachteile einer chronischen Erkrankung oder Behinderung aus. Er darf nicht zu einem Vorteil für den Prüfling werden.
Bagatellerkrankungen oder Erkrankungen, die nicht zu einem Nachteil in der Prüfung führen, werden vom Nachteilsausgleich nicht erfasst. Dder/die Gutachter/in stellt ein Gutachten zur Verfügung, das Prüfungsamt entscheidet allein, welche Form des Nachteilsausgleichs erforderlich ist, die Wünsche des Prüflings sind nicht einzubeziehen.
So sind beispielsweise bei chronischen Sehnenreizungen an den Händen (Sehnenscheidenentzündungen usw.) Pausenregelungen zu empfehlen, die zeitlich im Gutachten festgelegt werden. Prüfungszeitverlängerungen kommen hier nicht in Betracht, wohl aber z.B. bei Spastiken in der Schreibhand, nachgewiesenem Vorliegen einer Legasthenie o.ä.. Der Prüfling hat dem Prüfungsamt und damit auch dem/der Gutachter/in nachzuweisen, dass ein Nachteilsausgleich erforderlich ist (Beweispflicht).
Ablauf der Begutachtung
Die Prüflinge werden möglichst nach Fachlichkeit den amtsärztlichen Gutachtern zugeteilt. Der/die Gutachter/in informiert den Prüfling bereits beim ersten telefonischen Kontakt darüber, dass folgende Unterlagen bei der Begutachtung am Untersuchungstag vorgelegt werden müssen:
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gültige Ausweispapiere
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alle vorhanden medizinischen Unterlagen zur geltend gemachten Erkrankung, insbesondere Arztbriefe, Krankenhausberichte, Röntgenbilder, technische Untersuchungsbefunde. Ein Attest der behandelnden Ärztinnen oder Ärzte kann verlangt werden, ist jedoch nicht immer erforderlich.
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in Zweifelsfällen ein Auszug aus der geltenden Prüfungsordnung, aus der hervorgeht, dass ein amtsärztliches Gutachten erforderlich ist
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Zeitpunkt der Prüfung und Art der Prüfung (schriftlich, mündlich, praktisch)
Betrifft der Nachteilsausgleich einen Nachteil, der in einer schriftlichen Prüfung wirksam wird, so sollte die Begutachtung spätestens sechs Wochen vor Beginn der Prüfung erfolgen, damit das Prüfungsamt die amtsärztlich empfohlenen Maßnahmen noch rechtzeitig umsetzen kann.
Der Prüfling meldet sich am vereinbarten Untersuchungstermin an und erhält den Anamnesebogen mit Einverständniserklärung für Prüflinge, die er dann ausfüllt.
Anschließend erfolgt die ärztliche Untersuchung. Bei der Anamneseerhebung muss geklärt werden, um welche Art Prüfung es sich handelt (mündlich, schriftlich, praktisch, Prüfungsblock, Länge der Prüfung).
Eine symptombezogene körperliche Untersuchung kann ausreichend sein, die Entscheidung hierüber fällt der Gutachter.
Nach der Untersuchung wird, wenn möglich, dem Probanden das Ergebnis mitgeteilt.
Grundlage für die Entscheidung, welche Form des Nachteilsausgleichs empfohlen wird, ist immer der Ausgleich des festgestellten Nachteils, nicht der Wunsch des Probanden.
Ausfertigung des Gutachtens
Folgende Inhalte müssen im Gutachten aufgeführt werden:
● Datum der Untersuchung
● Art der vorgelegten auswärtig erstellten und einbezogenen ärztlichen Unterlagen (fachärztlich, hausärztlich, andere)
● Angaben zur prüfungsrelevanten Krankengeschichte
● Angaben zum Untersuchungsbefund, die das Prüfungsamt in die Lage versetzt, die Notwendigkeit eines Nachteilsausgleichs zu erkennen
● Die Diagnose darf genannt werden, da das Gutachten regelmäßig dem Prüfling
ausgehändigt wird. Dieser entscheidet, ob er das Gutachten weitergibt. Damit wird die ärztliche Schweigepflicht nicht verletzt.
● Zusammenfassende Beurteilung mit einer Aussage darüber, ob der Proband aus
amtsärztlicher Sicht einen Nachteilsausgleich benötigt und wenn ja, in welcher Form.
Bei Pausenregelungen muss die Anzahl der Pausen, deren einzelne Länge und der zeitliche Umfang der einzelnen Pause angegeben werden (z.B. 10 Minuten Pause nach 90, 180 und 360 min Schreibzeit).
Bei einer Schreibzeitverlängerung wird die Zeit angegeben, um die die Einzelprüfung verlängert werden soll. Sie soll im Regelfall 25% der Prüfung nicht überschreiten, kann aber im besonders schweren Einzelfall bis zu 50% Verlängerung betragen.
Soll im Rahmen eines Nachteilsausgleichs die Prüfung diktiert werden, so ist keine zusätzliche Schreibzeitverlängerung zu empfehlen, da die Tatsache, dass das Diktieren möglicherweise nicht so schnell geht wie das selbst Schreiben, keine medizinische Begründung ist.
Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass für den Nachteilsausgleich „Schreiben mit dem Computer“ bei den juristischen Staatsprüfungen strenge Randbedingungen gelten, die einzuhalten sind. Schreiben am Computer kommt beispielsweise in Frage für blinde oder hochgradig sehbehinderte Prüflinge, die auf dem Computer eine Spezialsoftware zum Ausgleich ihrer Behinderung installiert haben.
Das Gutachten sollte direkt nach der Untersuchung diktiert und ausgefertigt werden, um es dann dem Prüfling mitgegeben zu können. Das Gutachten kann auch zugesandt oder einige Tage später persönlich abgeholt werden.
Abgabetermin zur Verlängerung für schriftliche Arbeit - aus gesundheitlichen Gründen
Das Gesundheitsamt ist nur für schriftliche Arbeiten zuständig, die in direktem Zusammenhang mit Staatsprüfungen, Diplomen, Master- oder Bachelorarbeiten stehen.
Die geltend gemachte Erkrankung muss vom Prüfling nachgewiesen werden (, z.B. anhand von Untersuchungsbefunden, Röntgenaufnahmen o.ä.). Die Zeit, die aus gutachterlicher Sicht rforderlich ist, um den Nachteil der Erkrankung auszugleichen, ist im Gutachten anzugeben. Auch hier gilt, dass aus einem Nachteilsausgleich kein Vorteil für den Prüfling werden darf.
„Kurgutachten“
Fragestellungen bei den sogenannten “Kurgutachten” entsprechen inhaltlich häufig etwa der Überprüfung des Rehabilitationsbedarfs in den sozialmedizinischen Verfahren der Renten- bzw. Krankenversicherung. Dabei ist in der Regel zu prüfen, ob die aktuelle gesundheitliche Situation des Patienten eine zeitnahe ambulante oder stationäre Rehabilitationsmaßnahme angezeigt erscheinen lässt.
Neben einer zielgerichteten Anamnese und ggf. ergänzenden (symptombezogenen) klinischen Untersuchung gilt es insbesondere zu hinterfragen, ob - einer abgestuften Indikation entsprechend - bisherige therapeutische Maßnahmen vor Ort ausgeschöpft wurden, bzw. sich als unzureichend erwiesen haben. Da ein übliches primär vorgelegtes Attest meist nur gering aussagefähig ist, kann sich die Anforderung eines erweiterten Attests für Rehabilitationsmaßnahmen mit detaillierteren Angaben empfehlen.
In der Regel gilt es zugleich abzuwägen ob eine ambulante Kurmaßnahme hinreichend oder eine stationäre Rehabilitation erforderlich ist.
Dabei ist eine stationäre Maßnahme dann indiziert, wenn ergänzende diagnostische Maßnahmen, pflegerischer Bedarf oder sonstige Erfordernisse eine Unterbringung in einer krankenhausähnlichen Umgebung erfordern. Dieses ist insbesondere dann der Fall, wenn jederzeit eine ärztliche und pflegerische Betreuung zur Verfügung stehen sollte, bzw. der Patient anders als “in einem Haus” mit entsprechend kurzen geschützten Wegen und spezieller, z.B. diätetischer Versorgung die gebotenen therapeutischen Maßnahmen nicht in Anspruch nehmen könnte.
Ein weiterer Aspekt kann sein, dass im Rahmen einer intensivierten Rehabilitation eine abschließende detaillierte Beurteilung des Rehabilitationserfolgs und der weiteren beruflichen Perspektive aus entsprechend aussagefähigem Bericht über Rehabilitationsmaßnahmen eingefordert werden kann. Dieses ist beispielsweise dann der Fall, wenn in Analogie zum Prinzip “Reha vor Rente” die Frage einer Dienstunfähigkeit erörtert werden muss. Anders als bei Tarifbeschäftigten spielt zwar - unter isolierter Betrachtung des lebenslangen Alimentationsprinzips - das Ziel der Erhaltung der Dienstfähigkeit bei noch aktiven Antragstellern formal keine Rolle, kann aber im Einzelfall in den amtsärztlichen Abwägungsprozess eines Dienstunfall-Verfahrens einbezogen werden.
Ein Sonderproblem stellen die ggfs. unterschiedlichen Regelungen zu Mindestabständen von Rehabilitationsmaßnahmen dar, von denen nur ausnahmsweise abgewichen werden darf. In der Regel gilt dies für möglicherweise neu aufgetretene, daher gesondert rehabilitationsbedürftige gesundheitliche Beeinträchtigungen oder aber für gravierende Verschlechterungstendenzen einer chronischen Erkrankung, bei der ohne zeitnahe und damit intensivierte Wiederholungsmaßnahmen wesentliche nachteilige Folgen zu erwarten wären.
Ein Konfliktfeld liegt darin, dass auch bei Fehlen der vorgenannten Ausnahmekriterien vielen chronisch Kranken eine regelmäßige Wiederholung von geeigneten Anwendungen etc. im Rahmen einer Rehabilitation durchaus Linderung ihrer Beschwerden bringen kann. Insoweit fehlt vielfach das Verständnis für die Verweigerung durch den begutachtenden Amtsarzt. In diesem Zusammenhang kann darauf verwiesen werden, dass diese Regelung allein auf finanziellen Vorgaben des Beihilferechts beruht, aber medizinisch nicht begründet ist.
Rechnungsprüfungen
Prinzipiell ist es notwendig Rechnungen auf ihre Korrektheit zu prüfen. Die Überprüfung von Arztrechnungen bewegt sich dabei auf einer distanziert-abstrakten Ebene. Zur kritischen Bewertung gestellt werden dabei beispielsweise
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die Begründung einzelner Gebührenziffern, bzw. deren zulässige Kombination oder Analogansatz
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die Begründung eines angesetzten erhöhten Steigerungssatzes
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selten auch in einer Analogieprüfung einer ausländischen Liquidation.
Vielfach fehlen allerdings an den Gesundheitsämtern die notwendigen Detailkenntnisse des ärztlichen Gebührenrechts, insbesondere im Hinblick auf die in den letzten Jahrzehnten entstandenen Diskrepanzen zwischen vormaligen Gebührenpositionen und tatsächlichen diagnostischen und therapeutischen Prozeduren.
In schwierigen Fällen kann es daher sinnvoll sein, zur Klärung von weniger konkret medizinischen, als vielmehr gebührenrechtlichen Fragestellungen an die einschlägig kompetenten Stellen der jeweiligen Ärztekammern zu verweisen.
“Neue Behandlungsmethoden”
Eine besondere Problematik amtsärztlicher Gutachten liegt zunehmend in der Beurteilung der Zulässigkeit bzw. der sachgerechten Abrechnung von neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden.
Hierbei handelt es sich in der Regel um sog. „wissenschaftlich (noch) nicht anerkannten Verfahren …“. Nach ggf. variierenden landesrechtlichen Regelungen können neue Verfahren als beihilfefähig anerkannt, werden, wenn sie zumindest auf einer wissenschaftlichen Grundlage beruhen, bei dem betroffene Patienten quasi alternativlos sind
- d.h. andere, wissenschaftlich anerkannte Maßnahmen erfolglos ausgeschöpft sind.
Daraus ergeben sich folgende typische Fragestellungen für amtsärztliche Gutachten:
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Um was für eine Maßnahme/Methode aus welchem Fachbereich geht es?
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Inwieweit unterscheidet sich die neue Maßnahme/Methode vergleichend von bekannten, etablierten Maßnahme/Methode?
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Gibt es einen einigermaßen nachvollziehbaren wissenschaftlichen Hintergrund (Evidenzbasierung) für eine – möglicherweise erhöhte – Zweckdienlichkeit gerade dieser Maßnahme?
Diese eher methodenbezogenen Teilfragen erfordern im Grunde eine maßgebliche Expertise mit einigermaßen tagesaktueller fachwissenschaftlicher Verwurzelung, die zur Klärung der assoziierten Frage notwendig ist:
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Was für eine Art von Erkrankung liegt bei der erkrankten Person vor?
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Welche Maßnahmen sind bei bei der erkrankten Person auf dieser Basis allgemein üblich, bzw. medizinisch indiziert, eventuell auch schon erfolgt, bzw. wären alternativ möglich?
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Sind anderweitige Alternativen erfolglos ausgeschöpft, sodass - zumindest bei schwersten bedrohlichen Erkrankungen - ein Rückgriff auf nicht etablierte Methoden als Notbehelf zu erwägen wäre? (s. Nikolaus-Urteil des Bundesverfassungsgericht vom 06.12.2005, Az.: 1 BvR 347/98)
Diese unmittelbar patientenbezogenen, individuellen Aspekte erfordern (eigentlich) ebenfalls eine ausgeprägte fachärztliche klinische Expertise, insoweit mit zeitnah aktuellem Erfahrungsprofil aus der klinisch Praxis.
Hier stellt sich die Frage, ob ein amtsärztlicher Gutachtendienst überhaupt die notwendige Fachkompetenz hat, bzw. vorhalten kann, derart spezielle Fragen im Streitfall auch gerichtsfest beantworten zu können.
Alternativ kommt im Sinne der Vorprüfung eine Orientierung am Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung in Betracht. Bei dort weitgehend sinnidentischem Maßstab (Wirtschaftlichkeitsgebot des § 2 Abs 1 Satz 3 / § 12 SGB V: „ausreichend, zweckmäßig, wirtschaftlich, nicht über das Maß des Notwendigen“) lässt der zuständige Gemeinsame Bundesausschuß (..) diagnostische und therapeutische Methoden wissenschaftlich überprüfen und bewerten - allerdings durch hochkarätige Expertengremien und Studien.
Insoweit kann ein dortiges positives Votum, ebenso wie ein negatives, zugleich als beihilferechtlich analog herangezogen werden.
Eine weitere mögliche Orientierung, bzw. Verweisung kann an den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) gerichtet werden, der bei auch im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherungen ähnlichen Problemstellungen immerhin über zentrale Expertise und Austauschmodalitäten verfügt.
Im Einzelfall bleibt abzuwägen, sich mit den verfügbaren Zeit- und Personalressourcen des Gutachtendienstes aufwändig in eine klinische Spezialthematik einzuarbeiten und auch fachliche Auseinandersetzungen mit dem kurativmedizinischen Bereich nicht zu scheuen.
Oder aber: den Begutachtungsauftrag im Sinne der sogenannten Übernahmeverantwortung als fachlich nicht hinreichend verfahrenssicher zurückzugeben.