► Inhaltsverzeichnis Kapitel (ausklappbar)
Jede ärztliche Maßnahme, auch Begutachtungen, bedeuten einen erheblichen Eingriff in Grundrechte der betroffenen Person. Sie ist daher grundsätzlich nur mit Einwilligung zulässig. Nur ganz ausnahmsweise bestehen Mitwirkungs- oder Duldungspflichten, die eine gesetzliche Grundlage haben müssen. Das Grundgesetz bestimmt in der zentralen Norm Art. 2 Abs. 2 dazu:
“Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.”
Allerdings regeln die im folgenden aufgeführten Rechtsnormen, wann diese im Grundgesetz geregelte Freiheit im Sinne einer Mitwirkungspflicht eingeschränkt ist.
Duldungspflicht
Nach Strafprozessordnung §§ 81 ff sind Maßnahmen gegen den erklärten Willen einer betroffenen Person im Rahmen eines Begutachtungsverfahrens möglich, beispielsweise zur:
● Entnahme von Blutproben und sonstigen Körperzellen, körperliche Untersuchung des Beschuldigten, wenn kein Nachteil für ihre/seine Gesundheit zu befürchten ist (§ 81 a StPO)
● Entnahme von Blutproben, Untersuchungen zur Feststellung der Abstammung, körperliche Untersuchung anderer Personen, wenn kein Nachteil für ihre/seine Gesundheit zu befürchten und die Maßnahme unerlässlich zur Wahrheitsfindung ist (§ 81 c StPO)
● Molekulargenetische Untersuchung der/s Beschuldigten (§ 81 e StPO)
● DNA-Identitätsfeststellung der/s Beschuldigten (§ 81 g StPO)
Mitwirkungspflichten bei Beamten
Beamtinnen und Beamte unterliegen besonderen Dienstpflichten gegenüber ihrem Dienstherrn. Verweigern sie bei rechtmäßiger Aufforderung zu amtsärztlicher Untersuchung die Mitwirkung, bedeutet dies für die/den Beamten/in einen Verstoß gegen beamtenrechtliche Verpflichtungen und kann disziplinarrechtliche oder verfahrensrechtliche (unechte Beweislastumkehr) Konsequenzen nach sich ziehen.
Bei Beamtenbewerbern kann die/der Betroffene jederzeit die Mitwirkung verweigern, allerdings kann dann beispielsweise bei ungeklärter gesundheitlicher Eignung der (künftige) Dienstherr die erforderliche Überzeugung für die Eignung nicht gewinnen. .Das kann im weiteren Verfahren zu einer “unechten Beweislastumkehr” zum Nachteil der Bewerberin/des Bewerbers führen, mit der Rechtsfolge, dass sie/er nicht eingestellt werden darf.
Ist ein amtsärztliches Gutachten gesetzlich als Beweismittel vorgeschrieben, ist es in der Regel dem Dienstherrn nur mit Hilfe der Mitwirkungs-/Dienstpflichtmöglich, den im jeweiligen Einzelfall entscheidungserheblichen Sachverhalt festzustellen.
Beispielsweise haben Beamtinnen und Beamte grundsätzlich die Verpflichtung, sich einer vom Dienstherrn für erforderlich gehaltenen ärztlichen Untersuchung zu stellen, z.B. zur Vorbereitung einer Entscheidung über eine vorzeitige Pensionierung aus gesundheitlichen Gründen. Auch Beamte/innen müssen Untersuchungen aber nicht in dem Sinne “dulden”, dass die Untersuchung - anders als z.B. bei strafprozessualen Maßnahmen nach § 81a StPO oder zum Infektionsschutz nach § 30 Abs. 2 IfSG - durchgesetzt werden könnte. Die äußerste Konsequenz im weiteren Verfahren ist bei hartnäckiger Weigerung sich einer zumutbaren Begutachtung zu stellen, die Beendigung des Beamtenverhältnisses.
Der Dienstherr triff die Auswahl des/der Gutachters/in, soweit er nicht rechtlich gebunden ist.
Wenn ein Gutachten als Vorbereitung der Entscheidung über die Eignung als Beamter/in gilt, hat der/die Gutachter/in ein Fragerecht, beispielsweise nach manifesten Erkrankungen mit prognostischer Relevanz. Dazu gehören weiter Fragen zu aktuellen Beschwerden, früheren Erkrankungen, Arzneimitteleinnahmen, Krankenhausaufenthalten, Kuren, Drogenkonsum, Rauchen, Alkoholkonsum sowie zu sportlichen Aktivitäten.
Generell sind alle Gesundheitsfragen zulässig, die für die Personalentscheidung bedeutsam sind.
Die Anforderungen an die gesundheitliche Eignung bei einem Beamtenverhältnis auf Probe wie bei der „Umwandlung“ in ein Beamtenverhältnis auf Lebenszeit sind „deckungsgleich“. Es gibt keine ändernde Beurteilung bei Beurteilung der Eignung für das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit, es sei denn, dass zwischenzeitlich, d.h. seit der Beurteilung für die gesundheitliche Eignung als Beamter auf Probe, neue Fakten vorliegen.
Entsprechendes gilt für das Beamtenverhältnis im Vorbereitungsdienst (Beamter auf Widerruf). Hier ist aber im Bereich der „Monopol-Ausbildungsverhältnisse“ zu beachten, dass die
Mitwirkungspflicht für erforderliche Untersuchungen gilt bei
-
Untersuchungen auf manifeste Erkrankungen mit prognostischer Relevanz
-
Laboruntersuchungen, EKG – möglich, Röntgenuntersuchungen bei Indikation
Allgemeine Untersuchungen, die notwendig sind, sind grundsätzlich zulässig für die
-
Ermittlung des aktuell Gesundheitszustandes
-
Erstellung einer die bevorstehende Entscheidung tragenden Prognose.
Eine Grenze ist dann gegeben, wenn die Intimsphäre oder die körperliche Integrität nachhaltig betroffen ist. (vgl. VG Darmstadt 24.06.04 1 E 470/04)
Im Rahmen der Mitwirkung besteht grundsätzlich die Verpflichtung der/s Beamten/in behandelnde Ärzteinnen oder Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden. So z.B. zu früheren Behandlungen soweit im Einzelfall diese Informationen zur Feststellung erforderlich sind. Im Einzelfall ist die Erforderlichkeit besonders zu begründen. Sehr informativ ist insoweit das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 22.07.2014
- 4 S 1209/13s.
Allgemeine Mitwirkungspflichten im Bereich des SGB (§§ 60 – 62 SGB I )
Allgemein gilt, dass alle Tatsachen anzugeben sind, die für die Leistung des Sozialversicherungsträgers erheblich sind (§ 60 SGB I ). Zu den sogenannten rechtserheblichen Tatsachen gehört auch die Zustimmung zu Auskünften Dritter, z.B. Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht, rechtserhebliche Änderungen in den Verhältnissen, z.B. veränderte Einkommensverhältnisse, anderer Wohnsitz, Vorlage von Beweismitteln.
Auf Verlangen des Sozialversicherungsträgers haben Antragstellende zur mündlichen Erörterung persönlich zu erscheinen ( § 61 SGB I ), wenn z.B. die antragstellende Person „schreibunfähig“ ist. In einem solchen Fall sind zwangsweise Vorführungen allerdings nicht angemessen, auch besteht keine Duldungspflicht von Hausbesuchen. Dagegen haben Antragstellende in Verfahren zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit Duldungspflicht von Hausbesuchen, da sie sich den erforderlichen Untersuchungsmaßnahmen unterziehen müssen (§ 62 SGB I).
Spezielle Mitwirkungspflichten im Bereich des SGB - (§§ 62 – 64 SGB I)
Antragstellende haben die Verpflichtung, sich einer vom Sozialversicherungsträger für erforderlich gehaltenen ärztlichen Untersuchung zu unterziehen (§ 62 SGB I) und müssen Untersuchungen durch Arzt/Ärztin oder Psychologen/in dulden (Duldungspflicht im weiteren Sinn).
Dabei kann der Sozialversicherungsträger die Leistungsträger auswählen. Adressaten sind die antragstellenden Personen und andere Personen, von deren Zustand die Leistung abhängt. Die Duldung umfasst auch aktives Verhalten, z.B. bestimmte Ernährung. Die angeordneten Untersuchungen müssen allerdings erforderlich sein.
Generell gilt im Bereich des SGB, dass Versicherte jederzeit die Mitwirkung verweigern können. Allerdings ist die Rechtsfolge dann, dass die/der Versicherte oder Antragstellende die Konsequenz zu tragen haben, und die betreffende Leistung nicht erhalten bzw. behalten.
Antragstellende haben auch die Verpflichtung, sich einer vom Sozialversicherungsträger für erforderlich gehaltenen Heilbehandlung zu unterziehen (§ 63 SGB I), wenn das Ziel der Besserung des Gesundheitszustandes oder Verhinderung der Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu erwarten ist. Die Behandlungen können ambulante ärztliche Behandlung, stationäre Rehabilitationsmaßnahme, operative Eingriffe oder psychologische Maßnahmen sein.
Die Grenze der Mitwirkungspflicht liegt hier bei der notwendigen Zumutbarkeit, Wahrung der Persönlichkeit, bzw. der Verletzung körperlicher Integrität (§ 65 SGB I). Die in § 65 SGB I aufgeführten Grenzen der Zumutbarkeit sind eine besondere Ausgestaltung des allgemeinen Grundsatzes der „Verhältnismäßigkeit“. Sie setzen eine rechtlich wirksame, d.h. die gebotene umfassende, Aufklärung der/des zu Behandelnden voraus. Erst eine insoweit vollständige Aufklärung schafft die rechtliche Voraussetzung, dass die zu behandelnden Person in Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechtes eine wirksame Einwilligung erklärt. Die Grenze der Zumutbarkeit bezieht sich auf die Mitwirkung bei Untersuchungen und auf die Mitwirkung bei Behandlungen.