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► Inhaltsverzeichnis Kapitel (ausklappbar)
  1. Qualitätskriterien
  2. Aufklärung des Probanden
  3. Aufbau eines Gutachtens
    1. Formaler Rahmen
    2. Grundlagen der Begutachtung
    3. (Fachliche) Fragestellungen
    4. Rahmenbedingungen des Untersuchungsverlaufs
    5. Untersuchungsergebnisse

Qualitätskriterien

Um einen ausreichenden Qualitätsstandard für Gutachten sicherzustellen, ist es notwendig Mindestanforderungen festzulegen. Qualitätsstandards dienen dazu, Probanden, die vom Gutachten betroffen sind oder Gutachten als Informationsquellen nutzen, einen Maßstab zur Bewertung vorzulegen und tragen zum Schutz vor unsachgemäßen Gutachten bei.

Aufklärung des Probanden

Zu begutachtende Probanden müssen über den gutachterlichen Auftrag und die darin formulierten Fragen informiert werden. Sie müssen darüber aufgeklärt werden, dass das, was in der Untersuchungssituation besprochen und erhoben wurde, unter Umständen dem Auftraggeber mitgeteilt wird, somit die ärztliche Schweigepflicht eingeschränkt wird.

Eine ärztliche Schweigepflicht besteht weiterhin für Details der Exploration, die für die Beantwortung der Fragestellung nicht relevant sind.

Zudem muss der/die Proband/in über den Untersuchungsablauf, die Aufgaben und Funktion des/der Gutachters/in (Sachverständige/r) informiert werden. Der/die Proband/in sollte ebenfalls darüber aufgeklärt werden, dass der Auftraggeber und nicht der/die Gutachter/in die Rechtsentscheidung trifft.

Dem schriftlichen Gutachten sollte ein Hinweis auf die erfolgte Belehrung und Aufklärung vorangestellt werden. In den seltenen Fällen, in denen der/die Proband/in erkrankungsbedingt die o. g. Erläuterungen möglicherweise nicht aufnehmen und erfassen kann, sollte mit dem Auftraggeber und ggf. dem Rechtsvertreter des/der Probanden/in Rücksprache bzgl. des weiteren Vorgehens gehalten werden.

Aufbau eines Gutachtens

Die ein Gutachten beauftragende Einrichtung möchte spezifische Fragestellungen überschaubar und nachvollziehbar beantwortet und vermittelt bekommen. Dabei spielt ein sachbezogener und logischer Aufbau bei der Entwicklung der Ergebnisfindung eines Gutachtens eine entscheidende Rolle.

Formaler Rahmen

In der Regel sollte bei einem (Freitext-) Gutachten folgende Formalien beachtet werden:

  • Paginierung des Gutachtens

  • Nennung des Aktenzeichens

  • Nennung des Sachverständigen unter Nennung relevanter beruflicher Abschlüsse

  • Nennung des Auftraggebers

  • Nennung der wörtlichen Fragestellung und der Rechtsgrundlage

  • Nennung der eingesetzten Methoden

  • Nennung der Untersuchungstermine mit Datum, Ort (ggf. auch Dauer)

  • Der Ursprung externer Befunde, bspw. wesentlicher Untersuchungsergebnisse, Unterlagen oder Auskünfte dritter Personen sind im Einzelnen darzulegen. Datengrundlage und Interpretation sind zu trennen.

  • Nennung von Hilfskräften bei nicht untergeordneter Bedeutung. Für Dritte muss ersichtlich sein, welcher Untersucher bei welchen Teilen des Gutachtens mitgewirkt hat.

  • Das Gutachten muss von der/dem beauftragten begutachtenden Sachverständigen persönlich und mit Datum versehen unterschrieben sein.

  • Literatur sollte angeführt werden, soweit im Gutachten darauf näher Bezug genommen wird.

Eine formale Gliederung des Gutachtens sollte typischerweise folgende Inhalte wiedergeben:

Grundlagen der Begutachtung

Hier erfolgt die Wiedergabe des Sachverhalts und der Anknüpfungstatsachen auf der Basis der (Akten-)Analyse, sowie einschlägiger medizinischer Vorbefunde.

(Fachliche) Fragestellungen

Aus der (gerichtlichen) Fragestellung werden bei Bedarf medizinische Fragestellungen abgeleitet.

Rahmenbedingungen des Untersuchungsverlaufs

Die Exploration sollte unter Bedingungen durchgeführt werden, unter denen ein diskretes, ungestörtes und konzentriertes Arbeiten möglich ist. Ein wertschätzender Umgang mit dem/der Probanden/in, ihren Sorgen und möglichen Ängsten sollte selbstverständlich sein.

Insbesondere in der psychiatrischen Begutachtung ist es empfehlenswert, sich seine eigene Rolle in der Begutachtungssituation in Erinnerung zu rufen.

Untersuchungsergebnisse

Die medizinische Begutachtung ist nie Selbstzweck. Ihre Aufgabe ist die Beantwortung der von den Auftraggebern gestellten Beweisfragen, bspw. Gerichten, Ministerien, Versorgungsämtern, Krankenkassen. Dabei gilt immer, dass die eigentliche Rechtsfrage nie von dem/der Gutachter/in zu beantworten oder zu entscheiden ist (auch wenn es häufig eine Tendenz der auftraggebenden Einrichtung gibt, der Gutachtern/innen die Entscheidung und somit die Verantwortung für die Entscheidung zuzuschreiben.)

Das Grundprinzip des Gutachtens ist: Die Beantwortung der Fragestellung dient als Beweismittel, mit dessen Hilfe der auftraggebenden Stelle eine Entscheidung erleichtert wird.

Die ärztliche Begutachtung folgt auch in Fällen unterschiedlicher Fragestellung dem Prinzip eines dreistufigen Vorgehens:

  • im ersten Schritt erfolgt die Diagnosestellung, in der Regel gemäß ICD-10 oder ggf. DSM-5. Zu berücksichtigen ist, ob sich die Diagnosestellung im Rahmen der Fragestellung auf eine retrospektive Diagnosestellung (z. B. Abschluss eines Rechtsgeschäfts), eine zum Zeitpunkt der Begutachtung zu erstellende Diagnose oder eine prospektive Fragestellung (z. B. Betreuungsrecht) bezieht. Die funktionellen Auswirkungen der Diagnose werden in der Regel anhand des ICF, bei psychiatrischen Erkrankungen anhand des “Mini-ICF für psychische Störungen” eingeschätzt. (Ref. S Linden M et al., vgl. S. 31)

  • im zweiten Schritt muss die (psychopathologische) Diagnose den jeweiligen rechtlichen Begrifflichkeiten zugeordnet werden. Der/die Gutachter/in übersetzt quasi die jeweiligen Befunde und die Diagnose in juristische Begriffe.

  • im dritten Schritt hat der/die Sachverständige die Beweisfragen zu beantworten (wie o. g. unter Beachtung, dass die Wertung und Würdigung durch den Auftraggeber erfolgt). Die Stellung einer Diagnose reicht nicht aus, es müssen die hieraus folgenden Symptome und deren Auswirkungen im psychosozialen Bereich folgen.

Es ist selbstverständlich, dass der/die Gutachter/in (Sachverständige/r) im Begutachtungsverfahren immer auch Ärztin/Arzt ist. Die ärztliche Grundhaltung der Empathie und des Verstehens erfordert dabei jedoch die eigenen emotionalen Empfindungen und Reaktionen wahrzunehmen und zu reflektieren, d. h. Aspekte der Übertragung und Gegenübertragung zu berücksichtigen. Diese können wertvolle diagnostische Hinweise sein. Außerdem kann die Wahrnehmung und Reflektion von Emotionen und Reaktionen verhindern, dass sich diese auf die gutachterliche Stellungnahme auswirken.